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Marktwirtschaft braucht Budgetbeschränkung

Im Expertentalk sprach „Die Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak mit dem Ökonomen Hans-Werner Sinn und Christian Jauk, CEO der GRAWE Bankengruppe, unter anderem über die Liquiditätsfalle, bei der das von der EZB reingepumpte Geld wirkungslos bleibt.
Im Expertentalk sprach „Die Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak mit dem Ökonomen Hans-Werner Sinn und Christian Jauk, CEO der GRAWE Bankengruppe, unter anderem über die Liquiditätsfalle, bei der das von der EZB reingepumpte Geld wirkungslos bleibt.(c) Richard Tanzer
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Geldpolitik. Die EZB fährt eine zu lockere Geldpolitik und nimmt in Kauf, dass der Euroraum in eine Inflation rutscht: Im Expertentalk zu Nullzinspolitik & Inflation wurden die Gefahren als auch Lösungsansätze aufgezeigt.

Ähnlich der Finanzkrise 2008 führte die Corona-Pandemie zu einem Konjunktureinbruch und schrumpfendem Bruttoinlandsprodukt. Die Europäische Zentralbank (EZB) flutet mit Wertpapierkäufen die Märkte und die Regierungen der europäischen Länder setzen milliardenschwere Hilfspakete um. Das Eurosystem argumentiert den aktuellen Kurs mit der Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen und der Arbeitsmarktsituation angesichts der Coronakrise, die sich ohne Hilfsmaßnahmen verschlechtern würde.

Unter Finanzexperten sind die Maßnahmen der EZB allerdings umstritten. Viele Ökonomen befürchten, dass die lockere Geldpolitik eine hohe Inflation begünstigt, weil neue Staatsschulden mit frisch gedrucktem Geld finanziert werden müssen.

Aus dem Palais Esterházy übertrug „Die Presse“ den Expertentalk zum Thema „Nullzinspolitik und Inflation – Die Weltwirtschaft im Ausgang der Corona-Pandemie“. Dazu begrüßte Rainer Nowak, Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“, Christian Jauk, CEO der GRAWE Bankengruppe, Vorstand der Capital Bank sowie Aufsichtsratsvorsitzender von Schelhammer & Schattera, und Hans-Werner Sinn, einen der bekanntesten deutschsprachigen Ökonomen und ehemaliger Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Es war die erste Veranstaltung seit Bekanntwerden der für Ende September 2021 geplanten Fusion der Grazer Capital Bank mit der Wiener Privatbank Schelhammer & Schattera.

Zur Diskussionseinstimmung führte Professor Sinn in einem Vortrag dem Livestream-Publikum die Konsequenzen der gegenwärtigen Geldpolitik im Euroraum vor Augen. Er kritisierte vor allem den hohen Schuldenstand. „Europa hat sich an das Schuldenmachen gewöhnt.“ Der Wirtschaftsweise warnte davor, den „japanischen“ Weg mit niedrigen Wachstumsraten zu beschreiten. Japans Finanzblase platzte 1990. Statt auf Reformen zu setzen, rettete sich Japan in Staatsverschuldung. „Seither ist Japan das am langsamsten wachsende Land der OECD-Region“, betonte Sinn und pochte auf harte Budgetbegrenzungen für die Marktwirtschaft. „Güter sind knapp und diese Knappheit muss sich in harten Budgetbeschränkungen abbilden.“ Der Ökonom befürchtet zudem eine realistische Gefahr einer Inflation. Gleichzeitig sieht es nicht danach aus, dass die Zentralbanken die Zinsen erhöhen werden. Das bedeutet: Inflation und Nullzinsen könnten Anleger über einen sehr langen Zeitraum begleiten.

Hans-Werner Sinn, einer der bedeutendsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum.
Hans-Werner Sinn, einer der bedeutendsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum.(c) Richard Tanzer

Global denken

Jauk stimmte in den meisten Punkten mit dem Professor überein. Allerdings sah der Capital Bank Vorstand, der immerhin seit mehr als 30 Jahren am Kapitalmarkt tätig ist, die Zukunft zumindest für Anleger nicht so pessimistisch, denn sie können sich vor vielen der angeführten Gefahren effektiv schützen. Zum Beispiel bezüglich des Euro-Wertverlustes. Die Zentralbank schießt infolge der Coronakrise Unmengen an Geld in den Markt. Durchaus eine Gefahr für den Geldwert und für die Stabilität in der Eurozone. Zu Beginn der physischen Ausgabe des Euro im Jahr 2002 hatten Europa und USA etwa gleich viel Geld gemessen zur Wirtschaftsleistung, aber jetzt hat der Euroraum doppelt so viel Zentralbankgeld relativ zur Wirtschaftsleistung als die USA. Es entstand ein enormer Geldüberhang, den man für die reale Wirtschaft gar nicht benötigt. Die Kursunterschiede bedeuten eine Schwächung des Euros gegenüber dem Dollar. Das führt zu niedrigeren Zinsen als in den USA. „Dieses Zinsdifferential könnte die Anleger nach Amerika locken“, prophezeite der Ökonom.

Bank-Chef Christian Jauk ist seit mehr als 30 Jahren am Kapitalmarkt tätig.
Bank-Chef Christian Jauk ist seit mehr als 30 Jahren am Kapitalmarkt tätig.(c) Richard Tanzer

Jauk erinnerte jedoch daran, dass es gerade der große Vorteil von Anlegern sei, nicht im Euro-Raum gefangen zu sein.
Bei Anleihen seien Anleger gut beraten, über den Tellerrand zu blicken und global zu denken. Allerdings bedarf es hier eines erfahrenen Profis an der Seite, weil gleichzeitig das Währungsrisiko gemanagt werden muss. Dabei sei bereits jetzt ratsam, den höheren Renditen in US-Dollar-Anleihen über den großen Teich zu folgen. Auch die Capital Bank investiert Fremdwährungsanleihen derzeit vorwiegend in US-Dollar. Diese sind aber nicht nur aufgrund der höheren Zinsen attraktiv. Sie besitzen gerade in gemischten Portfolios die besseren Risikoeigenschaften als Euro-Anleihen.

Vom Indexdenken lösen

Natürlich beobachte auch die Capital Bank Nullzinsen und niedrige Aktienrenditen aufgrund geringen Wachstums. Gleichzeitig gäbe es aber auch in Europa Wachstumsunternehmen in zukunftsträchtigen Sektoren, die von den großen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und umweltpolitischen Herausforderungen profitieren. Daher gewinne die Selektion der Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Dafür müssen sich Anleger jedoch vom sogenannten „Indexdenken“ lösen und neue Wege beschreiten. „Differenzieren Sie nicht nur innerhalb Europas“, sagte Jauk. „Anleger müssen global denken und unterschiedliche Währungen, Regionen und Dynamiken berücksichtigen.“ Die breite Verfügbarkeit von Informationen und Marktzugängen mache auch weit entfernte Märkte zu guten Investments. Anleger können vom Wachstum in allen Regionen der Welt profitieren und ihr Portfolio damit zugleich auf breite Beine stellen.

Qualitätsfokus verfolgen

Große Sorgen bereitet Sinn die Finanzpolitik in Europa. „Deutschland hat bei der Monetarisierung der Staaten mitgemacht. Man kann nicht durch Schulden und Gelddrucken die Probleme lösen.“ Die Schuldensituation vieler Länder in Europa hat sich seit der Euro-Krise sogar noch verschlechtert. Beide Experten des Talks betonten, dass das Schuldenmachen von einer zu lockeren Geldpolitik zugedeckt werde. Dadurch können Anleihen einiger hochverschuldeter Länder mit vergleichsweise hohen Renditen locken. Differenzieren ist auch hier ein elementares Schlagwort. Jauk machte klar, dass sich Staatsanleihen aus unterschiedlichen Ländern und Regionen nicht nur in der Rendite, sondern auch hinsichtlich Bonität, Qualität und Risiko unterscheiden. Daher forderte der Finanzfachmann Anleger auch auf, diese Risiken nicht zu unterschätzen und differenziert zu beurteilen. Die Capital Bank empfiehlt gerade in solchen Fällen nicht den letzten Zehntelprozentpunkten Rendite hinterherzulaufen, sondern stattdessen einen absoluten Qualitätsfokus zu verfolgen.

»„Aktien brauchen einen besseren Ruf. Vor allem in Österreich. Hier ist die Politik aufgefordert, Finanzbildung zu fördern.“
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Christian Jauk, CEO GRAWE Bankengruppe

Aktien alternativlos

In Krisenzeiten neigen Menschen dazu, Geld zu horten, statt auszugeben. Ökonom Sinn nennt das die „Liquiditätsfalle“. „Durch Investitionen bleibt der Kreislauf der Geldwirtschaft in Fluss, durch das Horten gerät er ins Stocken.“ Erst wenn der Kreislauf erschlafft, werden die Liquiditätshorte wieder aktiviert und der Kreislauf nimmt erneut Fahrt auf. Dieses Auf und Ab der Wirtschaft kann durch Geldpolitik beeinflusst werden. Etwa, indem die Notenbank diese Horte auffüllt. „Eine drohende Inflation bewirkt, dass die Liquiditätshorte aktiviert werden. Das Geld wird plötzlich ausgegeben, und dann kommt die Inflation erst richtig in Schwung“, sagte Hans-Werner Sinn. Allerdings gehen sowohl die Europäische Zentralbank als auch zahlreiche Ökonomen davon aus, dass der Inflationsaufschwung nur vorübergehend stark ansteigt und bereits 2022 wieder zurückgeht.

Aber selbst bei moderaten Inflationsraten um zwei Prozent schmilzt das Vermögen bei Nullzinsen schnell dahin. „Seit der Finanzkrise herrscht Sorge vor Inflation“, ergänzte Jauk. „Das zeigt sich im Verhalten der Anleger. Die Menschen investieren in einem Ausmaß in Sachwerte wie nie zuvor.“ Noch nie war es für Anleger wichtiger, sich über die Veranlagung ihres Vermögens Gedanken zu machen.
Jauk plädierte dringend für ein besseres Image für Aktien. „Gerade in Österreich herrscht noch eine große Skepsis gegenüber Aktien und Anleihen. Dabei sind Aktien gerade in Zeiten von Nullzinsen und Inflation alternativlos.“ Hier bestehe laut Capital Bank Vorstand enormer Nachholbedarf in der Finanzbildung, und deshalb sei auch die Politik gefordert, wegweisende Schritte zu setzen.

Information

Die Podiumsdiskussion „Nullzinspolitik & Inflation“ fand auf Einladung der GRAWE Bankengruppe in Kooperation mit der Tageszeitung „Die Presse“ statt.


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