Ein Gutachten, dass von der Wirtschaftskammer beauftragt wurde, zweifelt an der Befugnis der Umweltministerin.
Die Entscheidung der Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), alle großen Straßenbauprojekte zu evaluieren und vorerst zu stoppen, sorgt weiter für Diskussionen. Während sich der Streit um Klimaschutzmaßnahmen auch auf die Koalition auswirkt, bekommt die Stadt Wien in der Frage um den Bau des Lobautunnels abermals Schützenhilfe von der Wiener Wirtschaftskammer. Diese hat ein Gutachten erstellen lassen, welches daran zweifelt, dass Gewessler rechtlich einen Baustopp verordnen darf. Das Gutachten der Anwaltskanzlei KWR Karasek Wietrzyk kommt zu dem Schluss, dass die Ministerin der für den Bau zuständigen Asfinag gar keine derartige Weisung erteilen darf, berichtete zunächst der "Kurier" am Freitag.
Die Juristen argumentieren damit, dass der Asfinag-Vorstand die Gesellschaft "weisungsfrei und unabhängig" leite. Dass die Republik, in deren Namen Gewessler als Ministerin handelt, die Alleineigentümerin der Asfinag ist, änderte an der Weisungsfreiheit nichts. Die Ministerin könne zwar Wünsche an den Vorstand herantragen oder grundsätzliche Leitlinien vorgeben. Ins operative Geschäft - und darunter fallen die Bauprojekte - dürfe sie sich aber nicht einmischen, so die Meinung der Juristen, die das Gutachten verfasst haben.
„Rechtswidrig"
Und sie meinen sogar, dass die "gegenständliche Weisung rechtswidrige Inhalte umfassen" könnte. Dies wäre etwa der Fall, wenn die Asfinag bereits Verträge mit Dritten geschlossen hätte, die sie aufgrund der Verzögerung nun verletzen muss. Oder weil durch den Baustopp bei Folgeprojekten (etwa der Stadtstraße zur Seestadt Aspern) Probleme auftreten.
Sollten durch die Weisung konkrete Schäden für die Asfinag eintreten - und laut Gutachten "liegt dies nahe" - könnte der Vorstand übrigens sogar Gefahr laufen, selbst gegenüber der Gesellschaft ersatzpflichtig zu werden. "Das Gutachten zeigt sehr klar, dass es für den Vorstand einen Handlungsbedarf gibt", sagt Wiens Wirtschaftskammer-Chef Walter Ruck im "Kurier". "Er muss im Interesse der Aktiengesellschaft handeln. Ich gehe davon aus, dass sich die Entscheidungsträger in der Asfinag der Verantwortung bewusst sind."
Mitreden bei Lobautunnel & Co.: Können wir die Klimakrise ohne Verzicht bewältigen?
Gibt es eine Weisung?
Ob es diese Weisung von Gewessler tatsächlich gegeben hat, ist nicht vollständig geklärt. Denn das Wort „Weisung“ wird in dem Schreiben aus dem Umweltministerium an die Asfinag nicht verwendet. Fest steht, dass Herbert Kasser, Generalsekretär im Umweltministerium, am 25. Juni an den Vorstand der Asfinag schrieb, „dass derzeit keine Ausschreibungen für etwaige Bauphasen oder behördliche Vorbereitungsmaßnahme wie Grabungen, Bodenerkundungen, Rodungen, öffentlich-rechtliche Anzeigen etc. vorzunehmen sind.“ Dieses Schreiben könne „als Weisung verstanden werden“, heißt es in dem Gutachten.
Die Kammer drängt seit Jahren auf den Bau des Lobautunnels. Ein Baustopp sei verheerend für die Stadtentwicklungsgebiete im Norden Wiens, heißt es.
Ministerium widerspricht
Das Klimaschutzministerium widersprach der Darstellung des Gutachtens am Freitag vehement. "Die Planung und Entwicklung von Verkehrsinfrastruktur ist eine zentrale Aufgabe des Klimaschutzministeriums. In diesem Zusammenhang waren selbstverständlich alle gesetzten Schritt rechtskonform - das haben wir gemeinsam mit der Asfinag natürlich auch geprüft. Die regelmäßige Abstimmung des Asfinags-Bauprogramms ist zudem gesetzlich vorgesehen", hieß es aus dem Ressort.
(APA/red.)