USA/Afghanistan

Kabul-Fiasko beschädigt Biden

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Neueste Umfragen bringen den US-Präsidenten unter Druck. Er versucht in Afghanistan zu retten, was noch zu retten ist.

Ich möchte über glückliche Dinge reden, Mann.“ So blaffte Joe Biden im Juli einen Reporter an, der den Präsidenten mit Fragen zu Afghanistan und einem möglichen Fall Kabuls bedrängt hatte. Seit mehr als einer Woche, seit ihn der Triumph der Taliban am Wochenendsitz Camp David überrumpelt hat, spricht der deklarierte Skeptiker des längsten US-Kriegs der Geschichte gezwungenermaßen fast nur noch über das Desaster am Hindukusch. Der erfahrenste US-Präsident seit Richard Nixon, ein versierter Außenpolitiker und Afghanistan-Kenner, macht alles andere als eine gute Figur: Er stammelt, zeigt wenig Empathie, schiebt die Schuld dem als stur und arrogant verschrienen Ex-Präsidenten Afghanistans, Ashraf Ghani, und dessen Armee zu.

So sehr sich Biden im Krisenmanagement mit Schlüsselfiguren seines Sicherheitskabinetts – Vizepräsidentin Kamala Harris, Außenminister Antony Blinken, Verteidigungsminister Lloyd Austin oder Sicherheitsberater Jake Sullivan – umgibt, so sehr steht er als Oberbefehlshaber allein in der Verantwortung. Und dies, obwohl er die Modalitäten des US-Abzugs weitgehend von Donald Trump, seinem Vorgänger, geerbt hat.

„Viel kann noch schiefgehen"

Trump wollte die Taliban-Führer zum Jahrestag des 9/11-Terrors vor zwei Jahren zu einer Unterzeichnungszeremonie sogar nach Camp David einladen – ein Affront, wie selbst Republikaner fanden. Jetzt höhnt Trump über „Kapitulation“ und „Demütigung“, die schlimmste aller Zeiten.

Von Saigon und sonstigen Parallelen will Biden indes nichts wissen. Er versucht zu retten, was zu retten ist: „Es ist ein langer Weg, und viel kann noch schiefgehen.“ Für die rasche Rettung ihrer Landsleute und afghanischer Hilfskräfte forderten die USA den Transport durch zivile Fluggesellschaften an. In Absprache mit den Taliban erreichten sie die Ausdehnung der chaotischen Sicherheitszone am Flughafen in Kabul. Biden und die Geheimdienste treibt die Sorge vor einem IS-Attentat um. Bei der Einreise afghanischer Immigranten pochen sie auf Background-Checks.

Wie ein Getriebener

Für alle Eventualitäten brachte der US-Präsident auch eine Verlängerung der Evakuierung über den 31. August ins Spiel. Prompt signalisierten die Taliban, dies sei die Überschreitung einer roten Linie. Währenddessen urgiert Boris Johnson bei der für Dienstag einberufenen virtuellen Dringlichkeitssitzung der G7-Staats- und Regierungschefs eine Ausweitung ebenjener Frist und Sanktionen gegen die Islamisten.

Joe Biden wirkt längst wie ein Getriebener. Das Fiasko um den Rückzug aus Afghanistan, die schwerste Krise seiner siebenmonatigen Amtszeit, vergällt dem 78-Jährigen den Urlaub. Statt am Wochenende in seine Heimatstadt Wilmington in Delaware zu fahren, beriet sich der US-Präsident in Washington mit seinem Krisenstab. An seiner Entscheidung mag Biden nicht rütteln. Die Geschichte werde ihm recht geben, sagte er. Der Abzug der alliierten Truppen hätte so oder so zu Chaos geführt, betonte er in der Nacht zum Montag im Roosevelt Room des Weißen Hauses: „In zehn Jahren, in fünf Jahren oder in einem Jahr.“

Viele wollen das partout nicht so sehen. Die Kritik prasselt auf Joe Biden ein – von Demokraten wie von Republikanern, von Experten wie von frustrierten, um die Früchte ihres Afghanistan-Einsatzes gebrachten Veteranen bis hin zu Tony Blair. Eine Umfrage des TV-Senders CBS illustriert das Bild: Zwar halten fast zwei Drittel der Amerikaner den Abzug für richtig, doch drei Viertel kritisieren das Schlamassel in Kabul. 62 Prozent geben dem US-Präsidenten eine Mitschuld, seine Zustimmung ist auf 50 Prozent gefallen.

Kongresswahl in 14 Monaten

In Washington kam am Montag der Kongress zum Feinschliff des Infrastrukturprogramms zusammen – Bidens bis dato größtem Erfolg. Längst rückt die Kongresswahl im November 2022 in den Fokus, die der Partei des Präsidenten traditionell eine Schlappe beschert. Die Mini-Mehrheit der Demokraten steht auf der Kippe. Nach Bidens Kalkül sollte lang vor der Zwischenwahl das leidige Thema Afghanistan vom Tisch.

Vermutlich werden der Krieg, die fatalen Bilder von Kabul und die noch gravierenderen geopolitischen Folgen Joe Biden indes noch länger nachhängen und am US-Image kratzen. Es wäre eine bittere Ironie für einen Mann, der nach der Kommandoaktion gegen Terrorpaten Osama bin Laden vor zehn Jahren das Feld in Afghanistan räumen wollte.

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