Der ökonomische Blick

Warum ein EU-weites Vermögensregister unabkömmlich ist

Eine Machbarkeitsstudie der EU-Kommission sorgte im Sommer für Aufregung.
Eine Machbarkeitsstudie der EU-Kommission sorgte im Sommer für Aufregung. REUTERS
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Bei der Schaffung eines EU-weiten Vermögensregisters geht es nicht um den „gläsernen Menschen“, sondern darum, dass alle einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Budgets abliefern.

Mitte Juli 2021 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Ausschreibung für ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Machbarkeitsstudie für ein europäisches Vermögensregister im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung“. Ziel der ausgeschriebenen Studie ist es, ein EU-weites Vermögensregister zu entwickeln, um damit Möglichkeiten von Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu minimieren. In diversen Medien, auch in „Die Presse“ („Nein, meine privaten Besitztümer gehen die EU genau nichts an“), sowie bei einigen wirtschaftlichen und politischen Organisationen erfolgte daraufhin ein großer Aufschrei: "Die Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung ist zwar eine wichtige politische Priorität, aber dafür den gläsernen Bürger zu schaffen, geht viel zu weit", kommentierte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Der österreichische Europaabgeordnete Harald Vilimsky (FPÖ) forderte die EU-Kommission sogar auf, die Ausschreibung für die Machbarkeitsstudie zurückzuziehen. Und selbstverständlich werden dabei immer Argumente des Datenschutzes in den Vordergrund gestellt.

Die Frage bleibt: Wie kann diese harsche Kritik mit der Relevanz der Thematik in Verbindung gebracht werden? Dazu eine Auflistung in vier Punkten.

Jeden Montag gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Erstens: Wenn über Vermögen gesprochen wird und die fundamental unterschiedlichen Interessen dabei analysiert werden sollen, muss zuallererst über die Verteilung von Vermögen gesprochen werden. Sowohl die nationalen als auch die internationalen Daten dazu sprechen eine sehr eindeutige Sprache: die Ungleichheit der Vermögen ist immer und überall um ein Vielfaches höher als die Ungleichheit in der Einkommensverteilung. Das ist auch nicht verwunderlich, da die Erreichung einer bestimmten Einkommensposition nur über ein Leben hinweg möglich ist, Vermögen sich hingegen durch (unbesteuertes) Vererben über Generationen akkumuliert. Die Daten der Oesterreichischen Nationalbank für das (aktuellste) Jahr 2017 zeigen dazu folgendes Bild: Das oberste ein Prozent aller Haushalte besitzt 22,6 Prozent des gesamten Nettovermögens, die Top zehn Prozent verfügen über 56,4 Prozent und die obersten zwanzig Prozent über 72,8 Prozent. Die untere Hälfte aller Haushalte hingegen besitzt nicht mehr als 3,6 Prozent des gesamten Nettovermögens in Österreich – also de facto nichts. Dabei haben viele Studien (1;2;3) inzwischen gezeigt, dass in dieser Erhebung die wirklichen Top-Vermögenden deutlich unter-erfasst sind. Würden diese angemessen berücksichtigt, so würde sich der Anteil des obersten ein Prozent wesentlich erhöhen, teilweise sogar verdoppeln. Diese Daten machen klar, dass Vermögensfragen nur einen sehr kleinen Teil der Gesamtbevölkerung betreffen.

Zweitens: Wieso ist eine öffentliche Diskussion über Vermögen und dessen Verteilung eine zentrale ökonomische sowie demokratiepolitische Frage? Dazu muss man die unterschiedlichen Vermögensfunktionen näher betrachten. (Kleines) Vermögen kann temporär über Krisensituationen (Arbeitslosigkeit, Krankheit, etc.) hinweghelfen. (Wohnungs-) Vermögen kann selbst genutzt werden und somit die Lebenshaltungskosten senken sowie eine Absicherung im Alter darstellen. Vermögen dient aber in erster Linie zur Einkommenserzielung, indem es vermietet oder verwertet wird und somit Kapitaleinkommen in Form von Mieten, Dividenden oder Gewinnen erzielt. Diese Verwendung von Vermögen findet sich jedoch nur noch im obersten Dezil der Vermögensverteilung. Klettert man in der Vermögenspyramide noch weiter hinauf, kommt man zu einer Funktion von Vermögen, die nur Wenigen vorbehalten ist: die Machtfunktion. Dazu muss man sich jedoch bereits im Top-1 Prozent (oder noch weiter oben) befinden. Aber was bedeutet hier Macht? Macht bedeutet in diesem Zusammenhang, dass (großes) Vermögen immer – wenngleich auch länderspezifische Unterschiede bestehen – (großen) Einfluss auf die Politik hat. Der Ibiza-Skandal und all die damit verbundenen laufenden Verfahren bieten einen brisanten Einblick in diese Sphären unserer Gesellschaft.

Quelle: Fessler Primin, Peter Mooslechner, Martin Schürz (2012); Household Finance and Consumption Survey des Eurosystems 2010 - Erste Ergebnisse für Österreich

Drittens: Diese Macht von großem Vermögen ist ein zentraler Faktor, wer wo und wie Möglichkeiten zur (internationalen) Steuerminimierung besitzt. Gabriel Zucman, ein in dieser Disziplin spezialisierter Ökonom von der University of Berkeley (US), hat gemeinsam mit zwei weiteren ForscherInnen mittels der Panama-Papers gezeigt, dass die Steuerhinterziehung (für Norwegen und Dänemark) im Durchschnitt 5% beträgt, dass jedoch die Top-0,01 Prozent der Haushalte 25 Prozent ihrer Steuern  hinterziehen. Diese Studie wurde im American Economic Review, dem Top-Journal der Ökonomengilde publiziert. Laut seiner Analyse verschieben Multinationale Konzerne 40 Prozent ihrer gesamten Gewinne in Steueroasen. Der Steuerverlust für die öffentlichen Budgets der Industrieländer ist daher enorm.

Viertens: Somit ist klar, dass es bei der Schaffung eines EU-weiten Vermögensregisters nicht um den „gläsernen Menschen“ geht, sondern einzig und allein darum, dass alle Unternehmen und Haushalte, und vor allem jene, die ganz oben in der Einkommens- und Vermögensverteilung stehen, einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Budgets in Form von Steuern abliefern. Es geht nicht um eine Ungleichbehandlung, sondern im Gegenteil, es geht um eine Gleichbehandlung aller am wirtschaftlichen Prozess beteiligten Haushalte und Unternehmen. Ein gut geführtes Vermögensregister kann in dieser Hinsicht sehr viel zu einer gerechteren Verteilung der Steuern sowie zur Verhinderung von Geldwäsche beitragen.

Wilfried Altzinger
Wilfried Altzinger(c) www.sonjaspitzer.com

Der Autor

Wilfried Altzinger ist ao. Univ. Prof. und (Co-) Leiter des Forschungsinstitutes „Economics of Inequality“ an der Wirtschaftsuniversität Wien und forscht zu den Bereichen Wirtschaftspolitik, Vermögens- und Einkommensverteilung.

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