Kanzler Schallenberg und Außenminister Linhart stellten sich heute dem Parlament vor. Die von SPÖ und FPÖ eingebrachten Misstrauensanträge fanden keine Mehrheit.
Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) hat sich am Tag nach seiner Angelobung - in der 124. Sitzung des Nationalrates - im Hohen Haus vorgestellt. „Schwierige Zeiten erfordern manchmal außergewöhnliche Schritte“, begann dieser seine Rede. Es sei überraschend für ihn, sich nun in der Rolle des Regierungschefs wiederzufinden, sei aber „umso entschlossener“, sie wahrzunehmen. „Als neue Volkspartei ist unsere Hand ausgestreckt in Richtung unseres Koalitionspartners“, betonte Schallenberg, „um die erfolgreiche, inhaltliche Arbeit der letzten Jahre fortzusetzen“.
Aber auch in Richtung der Opposition sei die türkise Hand ausgestreckt: „Ich hoffe daher sehr, dass das Taktieren, das politische Umsichschlagen ein Ende findet“, sagte er und nannte als Beispiel den „nicht zu verstehenden“, den „mutwilligen“ Misstrauensantrag, der heute gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) eingebracht wurde (und scheiterte). Ein Satz, der im Plenum heftigen Protest auslöste. Über Gegenrufe hinweg, machte der Kanzler weiter: „Ich werde mich selbstverständlich eng mit unserem Klubobmann Sebastian Kurz abstimmen“, wiederholte er seine Ankündigung vom Vortag. „Alles andere wäre demokratiepolitisch absurd.“ Und er ergänzte: Auch mit den Grünen werde er eng zusammenarbeiten.
Danach ging Schallenberg zu Inhalten über, die Türkis-Grün seiner Ansicht nach umgehend wieder aufgreifen sollte: Priorität habe die Bekämpfung der Pandemie. Er wolle „möglichst viele Menschen dazu bringen, sich impfen zu lassen“. Außerdem sollen „alle Menschen, die arbeiten können, auch arbeiten, und alle die arbeiten, müssen auch davon leben können“. Es sei daher essentiell, dass die ausverhandelte ökosoziale Steuerreform so rasch als möglich umgesetzt werde. In den Bereichen Bildung und Forschung will er „den Weg der Modernisierung" gehen, einen Fokus aber auch auf den Pflegebereich legen, „damit jeder Mensch in Würde altern kann“. In puncto Migration möchte Schallenberg „in Krisen großzügig helfen, aber illegale Migration entschieden verhindern“.
Kogler: „Transformation statt Depression"
„Wir haben die Hände schon ausgestreckt“, antwortete ihm im Anschluss Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Er habe Schallenberg am Sonntag getroffen und stimme mit ihm überein, dass Österreich nun Stabilität, Verlässlichkeit und Orientierung brauche.
Kurz verdiene Respekt für seinen Rücktritt als Kanzler, betonte Kogler, und bedankte sich ausdrücklich bei der ÖVP: „Es war sicher nicht leicht, diese Entscheidungen zu treffen“, sie seien aber rasch im Sinne der Republik getroffen worden. Auch bei den Oppositionsparteien bedankte er sich für die Gespräche in der Krisenwoche – das Anliegen, nicht sofort in Neuwahlen zu gehen, sei erkennbar gewesen. Es müsse zulässig sein, die Justiz zu kritisieren, betonte der Vizekanzler: „Aber wir müssen es unterlassen, generelle Zurufe an die Justiz zu machen, die sie generell in Frage stellen.“ Wichtig sei aber auch, die Unschuldsvermutung zu beachten.
Kogler lobte die bisherigen Projekte der türkis-grünen Regierung, insbesondere die Steuerreform. „Deshalb haben wir so gehandelt, wie wir gehandelt haben, und machen auch so weiter.“ Man solle jetzt „aufhören mit dem Sudern“, als Devise gelte: „Transformation statt Depression“.
In die gleiche Kerbe wie ihr Parteichef schlug Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer: Die Krise der vergangenen Tage sei „überwunden“, nun werde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Grünen würden alles daran setzen, um das Vertrauen der Bevölkerung und auch zwischen den Parteien zurückzugewinnen und zu stärken.
Rendi-Wagner: „Ziehen Sie eine Trennlinie"
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte Schallenbergs Rede: „Sie sind als Bundeskanzler und nicht als Obmann der ÖVP angelobt worden.“ Es stehe ihm nicht zu, das Parlament zu belehren, sondern mit Respekt zu behandeln. „Wir sind heute hier, weil Kurz die Republik in eine Krise geführt hat“, sagte Rendi-Wagner. Kurz habe bereits zwei Regierungen gesprengt und die aktuelle beinahe auch: „Seit er an der Macht ist, kommt das Land nicht mehr zur Ruhe“.
Die Vorwürfe gegen den Altkanzler würden schwer wiegen und auch zeigen, wie Kurz an die Macht gekommen sei. Er sei bereit gewesen, seiner eigenen Partei zu schaden und wichtige Projekte für Österreich - wie den Ausbau der Kinderbetreuung - zu torpedieren. Es zeige sich ein „Sittenbild der Skrupellosigkeit“, das Maßstäbe sprenge. Der nunmehrige ÖVP-Klubchef Kurz ziehe als Schattenkanzler weiter die Fäden und damit drohe weiter Chaos und Instabilität.
Eine Rüge gab es von Rendi-Wagner auch für die Aussage Schallenbergs vom Montag, wonach er die Vorwürfe gegen Kurz für falsch halte. Das sei „ein schwerer Fehler“ gewesen und lasse „nicht darauf schließen, dass Sie sich ihrer Verantwortung für den Rechtsstaat bewusst sind". Schallenberg habe damit viel Vertrauen verspielt: „Es steht Ihnen nicht zu, die Feststellungen der Staatsanwaltschaft einfach in Frage zu stellen." Sie forderte Schallenberg auf, „eine entschiedene Trennlinie zum System Kurz“ zu ziehen und sich von allen unter Korruptionsverdacht stehenden Mitarbeitern zu trennen.
Misstrauensvotum gegen Regierung gescheitert
Schallenberg „ist der Richtige zum richtigen Zeitpunkt“, zeigte sich der nunmehrige Vize-Klubobmann der ÖVP, August Wöginger (er hat seinen Posten als Klubchef für Kurz geräumt), überzeugt. Er danke „den großen Staatsmann“ Kurz „aufrichtig“ für seine Arbeit - etwa für zwei ausgeglichene Budgets und dafür, „dass wir die Pandemie bewältigt haben“. Ja, der Beschuldigtenstatus von Kurz habe eine innenpolitische Krise hervorgerufen. Aber, es stelle sich die Frage: „Warum wohl ausgerechnet bei Kurz? Es könnte sein, weil er derjenige war, der die letzten Wahlen gewonnen hat“, meinte Wöginger. „Demokratiepolitisch abzulehnen“ sei jedenfalls, dass an einer „Vier-Parteien-Koalition vorbei an der stärksten Fraktion“ gewerkt worden sei.
„Sie sind ja wirklich schon fast bemitleidenswert im türkisen Sektor“, wandte sich Herbert Kickl anschließend direkt an Wöginger. „Ja, wo ist er denn, Ihr Lehrling, der Praktikant?“, frage der FPÖ-Chef, um dann gleich selbst eine Antwort zu geben: „Vielleicht schaut er zu, vielleicht bastelt er aber auch schon an seiner Liste Kurz.“ Auch dem neuen Kanzler hatte der FPÖ-Chef einiges auszurichten: „Der Bundeskanzler weiß offenbar nicht, wie Gewaltenteilung funktioniert“, ärgerte er sich darüber, dass Schallenberg die Vorwürfe gegen Kurz als falsch bezeichnete und im Misstrauensantrag gegen Blümel eine „mutwillige Aktion“ sah. „Herr Schallenberg, so geht das nicht“, mahnte Kickl.
Der Diplomat sei „ferngesteuert“ von Kurz, befand der Freiheitliche. „Es ist insgesamt ein Jammer“, meinte Kickl, weshalb seine Fraktion der gesamten Regierung das Misstrauen aussprechen werde. Denn auch die Grünen hätten es verabsäumt, „die Notaus-Taste“ zu drücken. Allerdings: Erfolg hatte der Misstrauensantrag erwartungsgemäß nicht.
Meinl-Reisinger an Schallenberg: „Lesen Sie das“
„Ist die Regierungskrise vorbei?“, fragte sich anschließend Neos-Obfrau Beate Meinl-Reisinger. So sicher sei das wohl nicht, wohl aber folgendes: „Es ist vorbei für die türkise ÖVP“, verwies sie darauf, dass während Schallenbergs Rede eine in der Inseratenaffäre mitbeschuldigte Meinungsforscherin festgenommen worden ist. „Es ist ein Sittenbild des moralischen Verfalls“, betonte sie und überreichte Schallenberg die 104-seitige Anordnung für die in der Vorwoche durchgeführten Hausdurchsuchungen. „Lesen Sie sich das durch.“ Doch dieser legte die Papiere nur hinter sich auf den Boden.
Am Nachmittag entschuldigte sich Schallenberg via Kurznachrichtendienst Twitter für den Vorfall. Das Weglegen sei von einigen Abgeordneten als Respektlosigkeit gegenüber der Justiz und der Neos-Chefin interpretiert worden, räumte er ein. Das habe er jedoch „keineswegs" beabsichtigt: „Es tut mir leid, wenn dieser Eindruck entstanden ist.“
Meinl-Reisinger hatte dessen ungeachtet noch etwas im Gepäck: einen Entwurf für ein Medientransparenzpaket. „Zeigen wir, dass wir nicht so sind“, forderte sie Verbesserungen in Sachen Umgang mit Inseraten.
„Es ist mir eine Ehre“: Linhart präsentiert sich
Um 11:30 Uhr war es schließlich an Schallenbergs Nachfolger als Außenminister, Michael Linhart (ÖVP), sich den Abgeordneten zu präsentieren: „Es ist mir eine Ehre“, dieses Amt zu übernehmen, betonte er und versicherte, dass er es als Diplomat - er wart zuletzt Österreichs Botschafter in Paris - gewohnt sei, „sich für unser Land einzusetzen“. „Dialog und Verbindlichkeit“ wolle er auch in seiner neuen Aufgabe groß schreiben. Die außenpolitischen Krisenherde „legen keine Atempause ein“, verwies er auf die instabile Lage in Afghanistan, Syrien, Iran, Belarus, Myanmar oder Nicaragua“.
Auf EU-Ebene wolle er sich „in enger Partnerschaft“ mit den übrigen Mitgliedstaaten den Kampf gegen die Pandemie und des Klimawandels annehmen. Überdies werde er im Namen der Republik die „Stimme für Menschenrechte und Grundfreiheiten, gegen jegliche Form des Antisemitismus, für starke transatlantische Zusammenarbeit und für unsere offene und pluralistische Gesellschaft erheben“, versicherte Linhart.
Auf einen Blick
Eigentlicher Grund für die heutige Sondersitzung war ein Antrag von SPÖ, FPÖ und Neos. Sie wollten einen Misstrauensantrag gegen Kurz einbringen, um ihn als Kanzler abzuwählen. Dem kam am Wochenende Sebastian Kurz jedoch mit seinem Rücktritt als Regierungschef zuvor. Allerdings: Der Opposition geht dieser Schritt zu wenig weit. Die FPÖ wird deshalb einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einbringen, die SPÖ einen gegen Finanzminister Blümel. Er ist von den neuen Ermittlungen der WKStA zwar nicht betroffen, wird von dieser aber in einer anderen Causa als Beschuldigter geführt (er bestreitet alle Vorwürfe) und gilt als enger Vertrauter von Kurz. Zudem stellen die Roten an Blümel, der am Mittwoch seine Budgetrede hält, eine „Dringliche Anfrage“.
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