Die EU ist hilflos. Ihre Wette, sich durch Flüssiggas vom Kreml unabhängig zu machen, wurde zum Bumerang. Ihre Chefs sind uneinig und verheddern sich in Details.
Während im Osten Europas die ersten Frostnächte den nahenden Winter verkünden, strauchelt die Europäische Union in die schwerste energiepolitische Krise seit den 1970er-Jahren. Das globale Zusammenspiel von pandemiebedingten Logistikpannen und dem enormen Appetit auf Flüssiggas in Asien und den USA sorgt für einen überwältigenden Anstieg der Gas- und, weil aneinander gekoppelt, Strompreise. Die Union ist jedoch nicht darauf vorbereitet, auf diese weltweiten Phänomene wirksam und rasch reagieren zu können. Es gibt zu wenig Gas, und der einzige, der spontan fast beliebig viel liefern könnte, ist der russische Präsident Wladimir Putin, der dafür allerlei politische Opfer fordert: von den westlichen Ambitionen der Ukraine und Moldaus bis zur Inbetriebnahme seiner neuen Gaspipeline Nord Stream 2 – die genau diese Abhängigkeit der Europäer vom Kreml auf Jahrzehnte zu verfestigen droht.
Wie konnten die Europäer, die in jüngerer Vergangenheit immer öfter und lauter von „Weltpolitikfähigkeit“ und „strategischer Autonomie“ reden, in so eine Zwangslage geraten? Vier hausgemachte Effekte greifen hier ineinander.