Tilda Swinton: "Die Liebe ist eine Tätigkeit"

(c) Clemens Fabry
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Sie gilt als Königin des Programmkinos, nächste Woche wird sie 50: Swinton im Interview über die Liebe, warum man dafür trainieren muss und was an ihrer viel zitierten privaten Ménage à trois wirklich dran ist.

Sie ist eine Ikone der Individualität – dazu trägt allein schon ihr Aussehen bei: Alabastergesicht und grüne Augen lassen die 49-jährige Schottin wie ein Wesen aus einer anderen Welt aussehen lassen – nicht umsonst spielt sie in den „Chroniken von Narnia“ die Weiße Hexe. Typisch sind solche Rollen nicht, eher fällt ihre Wahl auf unkonventionelle Arthouse-Filme. Jüngstes Projekt: das von ihr mitentwickelte Drama „I Am Love“, in dem sie eine Society-Lady spielt, die jung in eine Mailänder Textildynastie eingeheiratet hat. „La famiglia“, Luxuskäufe, Dinnerpartys, das Leben für die Tradition haben sie erstarren lassen – bis sie mit einem jungen Koch einen „Coup de foudre“ erlebt.

In „I Am Love“ bricht eine Frau aus ihrem moderat glücklichen Leben aus, als sie sich maßlos verliebt. Ist Liebe immer revolutionär?

Tilda Swinton: Was Liebe ist, liegt im Auge und im Herzen des Betrachters. Jeder hat eine eigene Vorstellung, wie Liebe in seinem Leben aussieht. Ich glaube, dass bedingungslose Liebe erst möglich ist, wenn man sich selbst durch und durch kennt. Wenn man sich Gefühlen nur passiv hingibt, ist man nicht genug trainiert, um den Liebesmuskel richtig bewegen und nutzen zu können.

Wann haben Sie diesen Punkt erreicht, Liebe so leben zu können?

Ich bin von Beginn an mit dem Wissen gesegnet gewesen, dass es bedingungslose Liebe gibt. Sie wurde von meinen Eltern gelebt und war in meinen Erlebnissen fest verankert. Diese Erfahrung konnte mir niemand nehmen.

Wenn man Reife und Selbstkenntnis benötigt, um wahrhaftig lieben zu können, dann ist echte Liebe eine Frage des Alters, oder?

Das sehe ich anders. Reife ist nicht an Alter gebunden. Es geht eher darum, wann man für sich feststellt, dass bedingungslose Liebe Realität ist. Dass Menschen sagen: „Egal, wer du bist oder wohin du dich entwickelst, wir lieben dich und sind für dich da und stehen alles mit dir durch.“ Ich denke, dass dieses Bewusstsein das Beste ist, was man einem Kind mitgeben kann.

Emma aus „I Am Love“ hat scheinbar alles, doch glücklich wird sie erst, als sie alles aufgibt. Muss man sich Glück erarbeiten?

Emma ist nicht unglücklich, sie ist einfach nur nicht erwachsen. Das ist häufig so bei Frauen, die jung Kinder bekommen haben. Wenn die Kinder dann das Haus verlassen, war die Mutter zwanzig Jahre das solide, scheinbar unveränderliche Fundament ihres Lebens. Da erkennen Mütter oft, wie sehr sie sich in dieser Zeit verändert haben oder sich noch verändern müssen. Sie mussten ja in der Zeit, in der sich ihre Kinder ständig veränderten, die Konstante in deren Leben sein.

Sie gelten als sehr unkonventionell. Haben Sie je eine Befreiungsphase durchlebt?

Nein – es gab nichts, wogegen ich rebellieren musste, weil meine Umgebung so liberal war. Aber warum bin ich unkonventionell? Ich finde mich völlig normal. Ich konnte mich immer frei entfalten. Okay, eine Zeit lang war ich in einem strengen Internat, in dem ich sehr unglücklich war. Aber damals habe ich gelernt, meine Freiheit zu lieben.

Aber Sie lieben modische Extravaganzen...

Ich setze mich nicht bewusst in Szene oder mache mir Gedanken über meinen Stil. In meiner Familie sehen alle so aus wie ich. Natürlich kann man sein Aussehen mit Make-up und Kleidung verändern, aber dann wäre ich doch eine andere Person. (lacht)

Ihr Liebesleben soll unkonventionell sein. Von einer Ménage à trois mit einem älteren Liebhaber und einem jüngeren Toyboy war zu hören. Sind Ihre Amouren so exotisch?

Gar nicht. Ich habe zwei Kinder mit dem wundervollen John Byrne, mit dem ich seit vielen Jahren nicht mehr zusammen bin. Seit sechs Jahren führe ich eine innige Beziehung mit Sandro Kopp, und wir drei sind gute Freunde. John kümmert sich liebevoll um unsere Kinder, wir ziehen sie gemeinsam groß. Er wiederum hat eine Freundin, mit der er lebt. Sandro, die Kinder und ich leben auch zusammen. Es gibt Millionen von Familien wie uns. Es ist also ganz einfach und völlig unexotisch! (lacht) Aber meinetwegen können die anderen gerne weiter wild herumfantasieren!

Wie lautet Ihre Definition von Liebe?

Liebe ist kein Virus. Sie muss als Tätigkeit betrieben werden, indem man eine andere Person unterstützt, miterlebt, ihr Zeitzeuge ist. Wenn man sich für die Liebe entscheidet, muss man sicher sein, dass man dazu in der Lage ist. Aber Liebe ist kein Problem, sondern eine sehr gesunde Tätigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2010)

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