Blick nach vorn: Mehr Nächtigungen angepeilt

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Für Kaprun ist die Katastrophe Teil des Alltags. Der Skiort hat gelernt, nach vorn zu schauen. Am 8. November, drei Tage vor dem zehnten Jahrestag des Brandes, wird das Tauern-Spa Zell am See/Kaprun eröffnet.

"Mit Journalisten rede ich nicht.“ Die Frau auf dem Friedhof, die in der Herbstsonne das Familiengrab pflegt, wendet sich ab – bei der Frage, wie es Kaprun zehn Jahre nach dem Unglück in der Gletscherbahn auf das Kitzsteinhorn gehe. Auch der junge Mann, der vor der frisch renovierten Kirche noch freundlich gegrüßt hat, dreht sich weg. Medien sind in Kaprun seit dem November 2000 nicht gern gesehen.

Zu gut erinnert man sich noch an die Tage nach der Katastrophe, als niemand einen Schritt aus dem Haus machen konnte, ohne sofort von Mikrofonen und Kameras umzingelt zu werden. Die gespenstische Ruhe, die nach den Tagen der Belagerung eingesetzt hat, ist in der Pinzgauer Tourismusgemeinde längst wieder der Normalität gewichen. Moderne Firmenzentralen, herausgeputzte Hotels und elegante Geschäftsfassaden: Viel wurde in den Ort investiert, der im November 2000 ungewollt weltweite Berühmtheit erlangte.

Das neueste Projekt
. Am 8. November, drei Tage vor dem zehnten Jahrestag des Brandes, wird das Tauern-Spa Zell am See/Kaprun eröffnet. Die Idee der Therme war in den Wochen nach dem Unglück aufgetaucht, als es darum ging, der Region Hoffnung auf eine erfolgreiche touristische Zukunft zu geben. 83 Millionen Euro wurden in das Hotel samt Bade- und Saunawelt investiert. Ein Leitbetrieb, der dem wichtigsten wirtschaftlichen Standbein der Gemeinde, dem Bergtourismus, mehr Breite und Unabhängigkeit bringen soll.

Die Katastrophe ist ein Teil der Geschichte des Orts, der zwischen den Ebenen des Salzachtals und den vergletscherten Gipfeln der Hohen Tauern liegt, geworden. Betroffen macht das, was damals passiert ist, viele Menschen aber immer noch. Die Gedenkstätte bei der Talstation der Gletscherbahn ist kein verlassener Ort, an den sich niemand erinnern will.

Ganz im Gegenteil: Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, Menschen, die an diesem Herbsttag zum Wandern oder Skifahren auf den Berg fahren, schauen vorbei, halten im stillen Gebet oder Gedenken inne. Tiefe Betroffenheit senkt sich auch zehn Jahre nach der Katastrophe wie eine dunkle Wolke über die Stille im Innenraum: 155 farbige Glasnischen mit 155Namen von Opfern. Eine schier endlose Reihe von Bildern, Wünschen, Erinnerungen, Blumen und Kerzen. „Unfassbar, so viele junge Menschen, die damals gestorben sind.“ Die junge Frau aus Deutschland lässt ihren Tränen freien Lauf, auch wenn sie keines der Opfer persönlich gekannt hat und nur aus Zufall in der Gedenkstätte gewesen ist.

Moderne Gondelbahn. Durch das Fenster an der Stirnseite des langen Gebäudes sieht man jene Eisenrampe, auf der der Zug seine letzte, tödliche Fahrt gemacht hat. Der Eingang zum Tunnel ist mit einem grauen Metalltor verschlossen. Seit dem Unglück wird der Stollen nicht mehr benützt, es laufen nur noch Versorgungsleitungen für das Alpincenter durch den Berg, die Bahn wurde stillgelegt.

Sie wird nicht mehr gebraucht. Schon im Jahr nach der Katastrophe wurde eine moderne Gondelbahn errichtet. Heute gelangen die Menschen mit dem „Gletscherjet“ auf das Kitzsteinhorn. Der Ansturm ist groß. Schon Mitte Oktober ist der Parkplatz gut gefüllt. Die Skiteams von Serbien, Russland, Österreich trainieren hier. Im Tourismusjahr 2009/2010 gab es 647.000 Nächtigungen. Im Jahr des Unglücks kam der Ort nur auf 550.000 Übernachtungen. Eine wirtschaftliche Katastrophe für eine Gemeinde, deren Wertschöpfung zu zwei Dritteln aus dem Tourismus stammt.

Große Ziele. „Unser Ziel sind 800.000 Nächtigungen“ – Kapruns Bürgermeister Norbert Karlsböck hat hohe Ziele. Die neue Therme mit Hotel soll dazu die Basis liefern und die gesamte Region als Ganzjahresdestination attraktiver machen. Dass alle Gemeinden in der Umgebung an einem Strang gezogen und sich bei der Finanzierung des Tauern-Spa beteiligt haben, sieht Karlsböck als eine Folge des großen Unglücks: „Die Katastrophe hat den Zusammenhalt und das Miteinander gestärkt.“ Kaprun hat nach dem Schock gelernt, wieder nach vorn zu schauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2010)

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