Mit Diener und Köchin auf den Glockner

Vor 200 Jahren wagten junge Abenteurer den Sturm auf den höchsten Gipfel der Monarchie.

Als der Mediziner und Forschungsreisende Joseph August Schultes vor zweihundert Jahren erstmals auf dem Gipfel des Kleinglockners stand, schien es ihm, als könnte er den halben Erdball überblicken. Fast glaubte er zu fühlen, wie sich die Erde unter ihm drehte, so überwältigt war der 29-Jährige. Diese Schilderung einer abenteuerlichen Glocknerbesteigung im September 1802 ist von Christoph Braumann verdienstvoll zusammengefasst worden, denn unser Held Schultes hat darüber gleich vier dicke Bände verfasst, so spektakulär war damals diese Expedition.

Zwei junge ungarische Grafen überredeten am Theresianum ihren Lehrer Schultes zu dem Abenteuer. Am 10. August 1802 machten sie sich auf den Weg – über Admont, Unzmarkt, Klagenfurt, Spittal/Drau bis Döllach. Man musste sich erst verproviantieren, mühsam die nötige Bergausrüstung beschaffen, vor allem genagelte Bergschuhe und einen eisenbewehrten Bergstock. Inzwischen umfasste die Gruppe 21 Leute, darunter waren allein fünf Bergführer und acht Gepäckträger.

Am frühen Morgen des 5. Septembers ging's zunächst am Ufer der Möll hinan ins Pasterzental. Haarklein schildert Schultes Flora und Fauna, man freut sich über seine detaillierte Beschreibung. Der Umstand, dass der Luftdruck in größerer Höhe stetig abnimmt, war damals noch nicht allgemein bekannt. Aber der Forscher Schultes glaubt, etwa anderes zu entdecken: „Ich würde vermuten, dass die Luft auf Alpen weit weniger Lebensluft enthalten müsse als in Ebenen; teils weil auf den nackten Gipfeln der Alpen weit weniger Lebensluft entwickelnde Pflanzen vorkommen – teils weil Stickluft und brennbare Luft leichter sind als atmosphärische Luft . . .“

Eine Übernachtung in halber Höhe war nötig, doch dann gab's kein Halten mehr. Überwältigt von der schaurigen Natur schlugen die Herzen höher – und schneller. Schultes notiert: „Doktor Schieggs Puls, der sonst bei 27 Zoll Barometer 72 Schläge in der Minute tut, tat dies in eben dieser Zeit 93 Mal.“ Die Wangen brannten ihnen vor Kälte, die Zähne klapperten, es zitterten Arme und Beine. „Mit jedem zehnten Schritte war die Kraft dahin“, schildert Schultes den letzten mühsamen Anstieg über eine schneebedeckte Flanke am Seil der Bergführer, das sogenannte Glocknerleitl, das auch heute den Alpinisten Hochachtung abfordert.

Einer war dabei zu ungestüm hochgeklettert: Graf Joseph Apponyi. „Er lag wie eine Leiche hier auf dem Schnee. Sein Erzieher und sein Diener rangen mit der Ohnmacht. Ein kleiner Vorrat von Liquor befreite diese von dem Anfalle . . .!“

Doch es gelang der Gruppe. Schultes kann diesen Moment des Triumphs in unvergleichlicher Poesie festhalten. „Im heitersten Azur, im dunkelsten Schwarzblau, das Blau von Schwarz noch scheidet, sah ich hier den Himmel die Erde umfassen in der feierlichsten Stille. Ich schwamm im Ozean des Nebels auf meinem Gipfel . . .“

Dass der Abstieg ein mindestens so gefährliches Wagnis war, versteht sich von selbst. Angesichts der notdürftigen Ausrüstung erscheint es wie ein Wunder, dass keinem dieser Wagemutigen etwas zustieß. Noch heute, nach zweihundert Jahren, zittert man bei der Lektüre mit Schultes und seinen Freunden, Bedienten, Bergführern – die Köchin nicht zu vergessen.

Christoph Braumann:
„Eine Reise auf den Glockner. Das Abenteuer der Besteigung 1802“
Verlag Anton Pustet
192 Seiten, 25 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.