Alle wollen das Klima schützen. Doch spätestens beim Autoverkehr hört sich der Spaß auf. Nirgends sonst gibt es so viele Ausreden aus so vielen Lagern, um auch in Zukunft an einem Irrweg festhalten zu können.
Wohl noch nie zuvor hat ein verkehrspolitisches Thema hierzulande dermaßen die Gemüter erhitzt wie der geplante Straßenausbau im Nordosten Wiens. Spätestens mit dem mutmaßlichen Brandanschlag auf das Camp der Projektgegner werden Erinnerungen an die Eskalation rund um die Proteste gegen das Donaukraftwerk Hainburg Mitte der 1980er-Jahre wach, die eine Zeitenwende markieren sollten. So richtig Fahrt aufgenommen hat der aktuelle Konflikt mit der vorjährigen Ansage der Grünen Verkehrs- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, Österreichs Autobahn- und Schnellstraßenausbau – jahrzehntelang ein vom Bund bezahltes Wunschkonzert für Landespolitiker – kritisch zu hinterfragen. Mit dem Ergebnis, dass sie gleich mehrere Projekte, weil nicht mehr zukunftstauglich, stoppte.
Aufschreie aus allen Lagern waren und sind die Folge, insbesondere von den Befürwortern der sogenannten Lobau-Autobahn an der Grenze Wiens zu Niederösterreich. Neben Autofahrerklubs und Wirtschaftskammer tobt auch der Wiener Bürgermeister der selbst ernannten Umwelt- und Klimamusterstadt Wien. Ein Widerspruch? Nicht aus politischer Sicht! Michael Ludwigs Haltung ist typisch für Österreichs Nachhaltigkeitsstrategie: Klimaschutzmaßnahmen, die niemandem wehtun oder sogar neue Profitmöglichkeiten erschließen, werden ergriffen. Solche hingegen, die in Wirtschaft und Gesellschaft Ablehnung befürchten lassen – auch weil sie solitär anstatt eingebettet in ein ganzes Maßnahmenbündel diskutiert werden –, kommen kaum über das Stadium von Sonntagsreden hinaus. „Raus aus dem Beton! Raus aus dem Asphalt!“, lautet etwa das Motto der Wiener Planungs- und Verkehrsstadträtin Ulli Sima, die „eine klimaschonende Mobilität für alle, die auch ohne Besitz eines eigenen Autos auskommt“, als ihr großes Ziel nennt. Doch empfand sie allein schon die ministerielle Ankündigung, den im Nationalpark Donau-Auen geplanten Lobau-Tunnel nochmals zu prüfen, als „Horrornachricht“. Denn für die einstige Umweltaktivistin und spätere Umweltstadträtin ist ein durchgehender Autobahn- und Schnellstraßenring um Wien herum Voraussetzung für die weitere – aus ihrer Sicht nachhaltige – Stadtentwicklung im 22. Bezirk. Will die laut eigenem Dafürhalten weltbeste Metropole, die sich mit einer Internationalen Bauausstellung gerade dieses Jahr wieder als Maß aller Dinge präsentiert, tatsächlich der Weltgemeinschaft weismachen, dass Klimaschutz und weiterer Autobahnbau unter einen Hut passen, ja am Ende sogar einander bedingen?