Röggla: „Wir leben in restaurativen Zeiten“

(c) Clemens Fabry
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Überall sieht sie Neobiedermeier, auch in der Literatur: Schriftstellerin Kathrin Röggla, soeben mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet, über Arbeit und Wirtschaft, ihre Kinder und ihr Natascha-Kampusch-Stück.

Die Presse: Wie hat Ihnen die Aufführung Ihres Stückes „Die Beteiligten“ über den Fall Natascha Kampusch im Akademietheater gefallen?

Kathrin Röggla: Die Uraufführung war ja in Düsseldorf, und beim zweiten Mal ist man schon viel gelassener. Ich fand es sehr interessant, welche Assoziationen Regisseur Stefan Bachmann entwickelt hat. Manchmal war es mir zu assoziativ, aber insgesamt funktioniert es als Theaterabend.

Sie gehören nicht zu den Autoren, die entsetzt sind, wenn sie ihren Text auf der Bühne sehen?

Nein. Ich stelle Fragen in den Raum, Rätsel, und ich finde es spannend, wie ein Regisseur das dann löst, welche Schritte er aufgrund meiner Textvorlage unternimmt. Ich konnte ganz gut nachvollziehen, was Stefan Bachmann gemacht hat.

Sie schreiben viel über Wirtschaft, recherchieren, führen Gespräche mit Unternehmensberatern oder Bankdirektoren, die sonst eher verschlossen sind. Wie bringen Sie sie zum Reden?

Meine Gesprächspartner aus der Wirtschaft wissen natürlich, dass sie nicht namentlich genannt werden. Das garantiere ich. Mir ist in meinen Gesprächen mit den Unternehmensberatern aufgefallen, dass sie zunächst immer von ihren Überzeugungen sprachen, also wie toll das ist, was sie da machen. Nach etwa 20, 30 Minuten gab es dann einen Absturz. Teilweise war ich darüber ziemlich entsetzt. Ich hatte mir das nicht so krass vorgestellt. Die Reaktionen auf Frustrationen im Job sind ganz unterschiedlich. Manche kündigen, manche sind einfach nur enttäuscht von ihrer Arbeit, andere wieder nehmen eine zynische Haltung ein.

Die Arbeit ist für viele wie eine Art Maske, ein Ersatz für alles andere, Religion, Familienleben.

Durch den extremen Arbeitseinsatz bleibt den Leuten, die im Managementbereich tätig sind, keine Zeit, sich zivilgesellschaftlich oder politisch zu engagieren. Ich will jetzt nicht in den Bürgern die Retter des Abendlandes sehen, aber das frühere Bürgertum konnte sich engagieren. Jetzt ist es so, es bleibt kein Raum, das Privatleben läuft stereotyp ab: Es gibt immer die Frau, sie schupft die zwei Kinder. Der Mann ist völlig entfremdet, hat keinen Auftrag mehr in der Familie. Irgendwann kommt die Scheidung.

Woran arbeiten Sie derzeit?

Ich habe gerade ein Stück fertig, das sich mit der Welt der politischen Konferenz, mit Konferenzdolmetschern beschäftigt.

Wie schaffen Sie es, dass das Stück nicht so langweilig wird wie viele echte Konferenzen?

Im Gegenteil, es ist anscheinend unterhaltsam. Das Thema hat auch zahlreiche komödiantische Aspekte. Es ist eine Welt für sich. Für die Dolmetscher ist in Konferenzen der untere Arbeitsbereich, die Beamtenebene, am schwierigsten, dafür braucht man das Fachvokabular. Je höher es politisch hinauf geht, umso einfacher, allgemeiner, brutaler wird es. Ich habe viel recherchiert zu dem Thema und würde gerne später auch noch einen Roman darüber machen, mal sehen.

Sind Sie pessimistisch oder optimistisch, was die Weltlage insgesamt betrifft?

Im Grunde bin ich eher pessimistisch. Das ist vielleicht mein österreichisches Erbe.

Haben Ihre Kinder Ihre Weltsicht verändert?

Mein Sohn ist jetzt zwei Jahre alt, meine Tochter ist noch ganz klein. Ich würde sagen, es geht mir nicht anders als anderen. Man wächst halt mit. Was ich nicht geahnt habe: wie super sensibel man wird. Splatter Movies schaue ich mir keine mehr an.

Haben Sie als Literatin eine Mission? Eine Moral?

Es wohnt meinen Texten immer auch ein aufklärerischer Impetus inne. Ich habe mich immer gegen Moral gewehrt, weil das so etwas Verkürzendes hat. Das ist dann gleich so belehrend nach dem Motto: Ich weiß es besser, ich erkläre euch, was zu tun ist. Letztlich ist es schwierig, sich vollkommen davon zu distanzieren. Das Verhältnis von Moral, Literatur, politischem Engagement ist wie ein Knäuel. Ich schreibe aber keine Dokudramen. Was ich tue, hat mit Ästhetik zu tun.

Ihre Texte wirken eher experimentell.

Wir leben in restaurativen Zeiten. Es gibt eine starke Sehnsucht nach einfachen Erklärungen, einfachen Verhältnissen, einfacher Unterhaltung. Ich möchte dem Publikum etwas zeigen, was mit ihm zu tun hat, aber nicht Sozialvoyeurismus oder irgendetwas Abgehobenes, sondern was direkt mit den Leuten am Ort, in unserer Welt zu tun hat.

Ihre Texte sind aber nicht wirklich realistisch.

Je nachdem, was man als Realismus bezeichnet. Aber im Grunde wird Literatur heute doch meist gelobt, wenn sie sich mit Familiengeschichten oder harmlos gemachten historischen Themen beschäftigt. Da geht es um ein Wegrücken von der Gegenwart. Auch diese Tendenz hat etwas Restauratives. Das passt in dieses Neobiedermeier, das man jetzt überall sieht. Mich interessieren andere Dinge, andere Sichtverhältnisse, obwohl auch bei mir das Erzählen immer mit drin ist. Aber nicht dieses brave auktoriale Erzählen. Ich schreibe auch keine Schlüsselromane, die heute als besonders realistisch gelten, was ich für einen arg verkürzten Begriff von Realismus halte.

Sie werden oft mit Elfriede Jelinek verglichen. Ärgert Sie das oder freut Sie das?

Es kommt drauf an, wie ich verglichen werde und mit welcher Absicht. Aber ja, Elfriede Jelinek hat mich sehr beeinflusst. Bei ihr finde ich diese Punk-Energie super, den sprachlichen Furor, die Wut und die Komik. Aber auch Hubert Fichte ist wichtig für mich, ein Hamburger Autor, der 1986 leider sehr früh gestorben ist und ein irres Werk hinterlassen hat. Oder Alexander Kluge, Witold Gombrowicz, Werner Schwab, Pollesch.

Wenn die sprichwörtliche Fee käme und Sie hätten drei Wünsche frei: Was wünschten Sie sich?

Das ist schwer. Diese Feenwünsche machen mich wahnsinnig. Da gibt es so viele üble Geschichten. Man wünscht doch immer falsch.

Auf einen Blick

Kathrin Röggla (39), Salzburger Schriftstellerin, die in Berlin lebt, bekam gestern, Montag, den Nestroy-Theaterpreis für „worst case“ (wieder ab 10. 11. im Wiener Schauspielhaus). Rögglas Stück „Die Beteiligten“ über den Fall Natascha Kampusch ist heute, Dienstag, im Akademietheater zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2010)

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