Führungsriege

Deutschlands Grüne wählen neue Parteispitze

Annalena Baerbock und Robert Habeck verabschieden sich vom Amt der Parteichefs, es wird eine neue Parteispitze gewählt.
Annalena Baerbock und Robert Habeck verabschieden sich vom Amt der Parteichefs, es wird eine neue Parteispitze gewählt. APA/dpa/Kay Nietfeld
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Als wahrscheinliche Nachfolger von Annalena Baerbock und Robert Habeck gelten Ricarda Lang und Omid Nouripour.

Mit Neuwahlen ihrer Führungsriege wollen Deutschlands Grünen den Wechsel in die Bundesregierung vollenden. Beim digitalen Parteitag an diesem Samstag unter dem Motto "Wurzeln für die Zukunft" wollen die Delegierten am Nachmittag unter anderem ein neues Spitzenduo wählen. Als wahrscheinliche Nachfolger von Annalena Baerbock und Robert Habeck gelten die Parteilinke Ricarda Lang und der Realo Omid Nouripour. Lang schaltet sich wegen eines positiven Corona-Tests digital zu.

Nouripour will als Parteichef Kompromisse der Ampel-Koalition besser erklären. Als Beispiel nannte er am Samstag im RBB-Inforadio das Tempolimit. "Wir haben kein Tempolimit bekommen, was aus unserer Sicht weiterhin notwendig ist in diesem Land", sagte Nouripour. "Dafür haben wir es geschafft, den Kohleausstieg massiv vorzuziehen." Das Thema Tempolimit müsse aber "spätestens in vier Jahren" wieder auf den Tisch. Zusammen mit Lang wolle er den engen Austausch mit der Gesellschaft suchen, sagte Nouripour.

Nouripour zeigte sich erneut optimistisch, dass die Grünen mittelfristig auch das Kanzleramt besetzen könnten: "Wenn wir geschlossen bleiben und wenn wir liefern in der Regierung bei all den großen Herausforderungen und Problemen, die es zur Zeit gibt - von der Frage der Klimakrise bis hin zu den Energiepreisen, dem Stresstest für unsere Demokratie, Unordnung in Europa, Pandemie - dann gibt es auch eine gute Chance, dass wir das hinbekommen."

Mehr Mitglieder für Anträge benötigt

Samstagvormittag gab es dann auch eine Entscheidung zur viel diskutierten Satzungsänderung. Für Anträge zu Grünen-Parteitagen müssen sich künftig mehr Mitglieder zusammenfinden als bisher. In Zukunft braucht es dafür mindestens 50 Parteimitglieder. Bisher genügten für die Stellung eines Parteitagsantrags 20 Mitglieder. Rund drei Viertel der Delegierten votierten beim Online-Parteitag am Samstag für die Satzungsänderung.

Was einige Mitglieder als Frontalangriff auf die Basisdemokratie empfinden, schafft nach Einschätzung derjenigen, die sich bei den zurückliegenden Parteitagen bemüht hatten, die vielen Anträge zu bündeln, mehr Raum für die wirklich wichtigen Debatten. Der Bundesvorstand hatte ursprünglich noch ein höheres Quorum erreichen wollen, das sich mit wachsender Mitgliederzahl automatisch weiter erhöht.

Am Veranstaltungsort im Berliner Velodrom ist nur eine überschaubare Zahl von Spitzengrünen präsent. Die mehreren Hundert Delegierten stimmen online ab. Die Wahlen für Vorstand, Parteirat und andere Gremien müssen in der Folge noch per Brief bestätigt werden.

Der scheidende Parteichef Habeck stimmte seine Partei am Freitag erst einmal auf Kompromisse als Teil der Bundesregierung ein. "Kompromisse sind die Kunst von Politik", sagte Habeck, der in der Ampel-Koalition mit SPD und FDP Wirtschafts- und Klimaschutzminister ist. Sie bedeuteten aber nicht den Abschied von Idealen. "Wir können jetzt tatsächlich Wirklichkeit gestalten."

Der Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, sagte: "Wir sind jetzt vielleicht vier Jahre in einem Ampel-Bündnis, aber viel wichtiger ist das Bündnis mit der Zivilgesellschaft." Dafür bräuchten die Grünen eine mutige Parteiführung, die auch einmal den Konflikt mit den Koalitionspartnern suche. Die Grüne Jugend werde das "Scharnier zwischen Regierung und Zivilgesellschaft" sein.

Urbatsch räumt Fehler ein

Schatzmeister Marc Urbatsch räumte rückblickend Fehler bei der Genehmigung von umstrittenen Corona-Boni durch den Parteivorstand an sich selbst ein. "Parteiinterne Kritik daran ist nachvollziehbar und berechtigt." Vor kurzem war durch Berichterstattung des "Spiegel" bekannt geworden, dass die Berliner Staatsanwaltschaft wegen Anfangsverdachts der Untreue gegen den gesamten Bundesvorstand der Grünen ermittelt. Den Corona-Bonus in Höhe von 1.500 Euro pro Person bekamen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Grünen-Bundesgeschäftsstelle im vergangenen Winter. Er sollte die Belastungen ausgleichen, die durch die Arbeit im Homeoffice und den Umbau des Gebäudes entstanden sind.

Die Berichterstattung über die Ermittlungen gegen den Vorstand habe "uns allen geschadet", sagte Urbatsch. Auch parteiinterne Rechnungsprüfer hatten den Vorgang beanstandet. Der Vorstand hat die Boni inzwischen zurückgezahlt, die Regeln wurden geändert.

Baerbock, die in der neuen Regierung Außenministerin ist und ihr Amt als Parteichefin abgibt, sagte, auch wenn feministische Außenpolitik, Klimaaußenpolitik und die Zusammenarbeit in den internationalen Organisationen für die Grünen sehr wichtig seien, müsse die neue Regierung zunächst auf aktuelle Herausforderungen reagieren. "Wir stehen an der Seite der Ukraine bei Sicherheit, Verteidigung, aber vor allem bei der Frage, die wirtschaftliche Stabilität aufrechtzuhalten", betonte sie.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte, die Grünen müssten in Zukunft unbedingt neue Wählerschichten erschließen. Er nutzte seinen Video-Auftritt für eine Abrechnung mit dem Bundestagswahlkampf. "Im Wahlkampf haben wir uns zu klein gemacht", stellte er fest. Wirtschaftsfragen und Arbeitsplätze hätten nicht genug im Mittelpunkt gestanden, die Grünen seien als "Ergänzungspartei" wahrgenommen worden.

Große Mehrheit fand Freitagnacht kurz vor Mitternacht ein Antrag, der sich gegen die EU-Einstufung von Atomenergie als nachhaltig richtete. Mit Einordnung verschiedener Energieformen als grün in der sogenannten Taxonomie sollen Investoren eine Klassifizierung an die Hand bekommen. Bundesregierung, Bundestagsfraktion und Bundesvorstand sollen nun die Möglichkeit einer Klage, wie sie Österreich etwa schon angekündigt hat, prüfen.

(APA/dpa)

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