Das Protestcamp wurde geräumt, doch der Streit um die Wiener Stadtstraße und den Lobau-Tunnel geht weiter. Brauchen wir Projekte wie diese? Oder ist vernünftige Verkehrspolitik auch ohne neue Straßen möglich? Diskutieren Sie mit!
Mit einem großen Polizeiaufgebot wurde am Dienstagmorgen in Wien das Protestcamp gegen die Stadtstraße geräumt. Fünf Monate lang besetzen junge Aktivisten die Baustelle. Die Räumung des Camps war nur eine Frage der Zeit, doch der Streit um die Lobau, der schon das Jahr 2021 prägte, ist noch lange nicht vorbei. Auch auf den Debatten-Seiten der „Presse“.
Zuletzt verfasste Peter Schneyder, tätig in der Strategieplanung, einen Beitrag zum Thema. Er meint, im hitzigen Grabenkampf würden viele Fragen nicht gestellt - und blickt in die Zukunft. So würden schon in 20 bis 25 Jahren Autobahnen nur noch von autonomen Autos befahren werden - was zu Umbrüchen führe. Einerseits würde die Kapazität massiv erhöht, andererseits privater Fahrzeugbesitz stark zurückgehen. Schneyder fragt sich, ob wir „jetzt mit enormem Aufwand Straßen, die man in dieser Dimension dann vielleicht gar nicht mehr braucht.“ Kritik übt der Autor an der „gottgegebenen“ Pendlerpauschale und dem Bahnnetz. Mehr lesen Sie hier.
Gerhard Schuster, Vorstandsvorsitzender der Wien 3420 Aspern Development AG, argumentierte in einem Gastkommentar: „Wer Baustellen besetzt, sollte die Entwicklung in der U2 Donaustadt gesamthaft beurteilen. Der Klimacheck fällt positiv aus.“ Und außerdem: „Der Einwand, dass Stadtstraße und S1-Spange eine Entlastungsmaßnahme für alle ist, die an den von Emissionen geplagten Staustrecken wohnen, weil dort endlich verkehrsberuhigende Maßnahmen gesetzt werden können, wird ausgeblendet."
Verkehrswissenschaftler Hermann Knoflacher ist da anderer Meinung - und sieht ein grundsätzliches Problem: Der Mensch sei völlig der „Faszination Privatauto“ erlegen. Zur Stadtstraße schreibt er: „Unter dem Druck der Bevölkerung musste 1972 die Stadtregierung die Autobahnpläne in der Stadt stoppen. 1983 hat man auch das Relikt der Reichsautobahn, die S1, aus dem Netz genommen. Ein zukunftweisender Schritt aus Sicht des bedrohlichen Klimawandels heute. Dass dieses Projekt wieder auftaucht, widerspricht jeder fachlichen Logik, Vernunft und Verantwortung für die Zukunft."
Knoflachers Ansichten kann wohl auch Reinhard Seiß einiges abgewinnen. Das „System Auto“ werde immer noch von viel zu vielen verteidigt, kritisiert der Raumplaner und Filmemacher in der „Presse"-Beilage Spectrum: „Alle wollen das Klima schützen. Doch spätestens beim Autoverkehr hört sich der Spaß auf. Nirgends sonst gibt es so viele Ausreden aus so vielen Lagern, um auch in Zukunft an einem Irrweg festhalten zu können."
Anderer Ansicht ist Jurist Gerhard Strejcek in einem Gastkommentar: „Klimaschutz kann nicht als Vorwand dienen, rechtskräftig genehmigte, der UVP unterzogene und ausjudizierte Strecken zu stoppen.“ Kritik übt er an der grünen Umweltministerin Leonore Gewessler, die den Tunnel-Bau in der Lobau stoppte: „Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität (!), Innovation und Technologie ist keine NGO, sondern die oberste Straßenbehörde des Bundes."
Die Umweltministerin - zuvor bei „Global 2000“ tätig - wundert sich indes im Interview mit Julia Wenzel, warum sich so viele über ihre Hartnäckigkeit wundern.
Und Bürgermeister Michael Ludwig? Der will den Lobau-Streit nun offenbar vergessen machen und weg vom „Betonierer"-Image. Was vor der Wien-Wahl 2020 von der SPÖ noch zurückgewiesen wurde, soll nun verwirklicht werden: die „autofreie City“. Mehr weiß Dietmar Neuwirth.
Um den Lobau-Streit, die Räumung des Camps und die Stadtpolitik geht es auch im Podcast „Presse PLAY - Was wichtig wird“ - Teresa Wirth und Anna Wallner reden über die aktuellen Entwicklungen.
Diskutieren Sie mit: Was spricht für den Umfahrungsring und den Tunnel in der Wiener Lobau, was dagegen? Wie fortschrittlich ist Österreichs Verkehrsplanung? Und: Sind Sie eigentlich auf ein Auto angewiesen?