Diplomatie

Scholz: Sollte Russland in Ukraine einmarschieren, "wissen wir, was zu tun ist"

Scholz (li.) im Gespräch mit Selenskij (re.) in Kiew.
Scholz (li.) im Gespräch mit Selenskij (re.) in Kiew.APA/AFP/UKRAINE PRESIDENCY/HANDO
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Der deutsche Kanzler sichert der Ukraine weitere Hilfsgelder zu und erneuert die Sanktionsdrohungen gegen Russland. Dort überraschte Außenminister Lawrow in einem TV-Gespräch: Russland solle weitere Gesprächsangebote nutzen.

Nach einer dramatischen Zuspitzung der Ukraine-Krise in den vergangenen Tagen war es am Montag der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der am Montag nach Kiew gereist ist, um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij zu treffen. Rein formal ist es sein Antrittsbesuch als Kanzler - gut zwei Monate nach seiner Vereidigung. Der Kurzbesuch in der ukrainischen Hauptstadt steht aber ganz im Zeichen der zunehmenden Spannungen mit Russland und der jüngsten Kriegswarnungen aus den USA stehen. Scholz bleibt seinem Kurs treu: der Ukraine den Rücken stärken, Dialogbereitschaft signalisieren bzw. fordern und Russland harte wirtschaftlichen Sanktionen in Aussicht stellen, sollte es zu einem Einmarsch in die Ukraine kommen. Und in Russland - so scheint es - gibt es erste Anzeichen dafür, dass man weitere Gesprächskanäle nutzen möchte.

Der Kreml ließ am Montag wissen, dass ein Verzicht der Ukraine auf die Nato-Ambitionen "entscheidend helfen" würden, die Sorgen Russlands in puncto seiner eigenen Sicherheit zu entschärfen, so Putin-Sprecher Dmitri Peskow. Russland verlangt vom Westen verbindliche Sicherheitsgarantien und will etwa einen Beitritt des Nachbarlandes zu dem westlichen Militärbündnis verhindern.

Putin fragte am Montag seinen Außenminister Sergej Lawrow, ob er in den Verhandlungen mit dem Westen überhaupt noch eine Chance sehe. "Es gibt immer eine Chance", antwortete Lawrow. Allerdings dürften sich die Gespräche nicht endlos hinziehen. Aber er fügte hinzu: "Ich habe den Eindruck, dass unsere Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft sind ... Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich vorschlagen, sie fortzusetzen und auszubauen."

Nach Darstellung Lawrows hat Russland nun auch eine zehnseitige Antwort an die Nato und die USA formuliert, nachdem beide Seiten bereits vorher Schriftstücke ausgetauscht hatten. Die USA hätten konkrete Vorschläge unterbreitet, um die militärischen Risiken zu verringern. Aber die Antworten der EU und der Nato auf die Forderung Russlands nach Sicherheitsgarantien seien nicht zufriedenstellend gewesen.

Scholz betont Unterstützung für die Ukraine

„Es sind sehr ernste Zeiten, in denen ich die Ukraine besuche. Eine Botschaft ist mir ganz wichtig, Deutschland steht ganz fest an Ihrer Seite“, so Scholz in Richtung Selenskij bzw. der Ukraine. Vorwürfe, Deutschland würde die Ukraine zu wenig unterstützen, da man Waffenlieferungen skeptisch gegenüber steht, tritt Scholz mit einer Aufzählung entgegen, was Deutschland alles für die Ukraine geleistet habe. „Kein Land der Welt hat die Ukraine in den vergangenen Jahren so kräftig unterstützt wie die Bundesrepublik“, so Scholz. Zusätzlich zu dem neuen Kredit kündigte er die beschleunigte Auszahlung weiterer 150 Millionen Euro aus einem laufenden Kredit an.

Scholz plädierte erneut dafür, die Dialogkanäle zu Russland offenzuhalten, bzw. forderte er Russland auf, diese zu nutzen. Gemeinsam mit Frankreich habe Deutschland die Gespräche im Normandie-Format intensiviert. „Es ist und bleibt ein schwieriger Prozess. Ich bin aber überzeugt, diese Mühe lohnt sich."

Die territoriale Unversehrtheit der Ukraine sei für Deutschland nicht verhandelbar. Man erwarte sich von Russland Schritt zur Deeskalation. Für Russland hätte eine militärische Intervention harte wirtschaftliche Folgen. Das werde er auch in Moskau ansprechen, so Scholz. „Wenn Russland die territoriale Integrität der Ukraine erneut verletzten sollte, wissen wir, was zu tun ist“, schloss Scholz sein Statement in Kiew.

Selenskijs Familie bleibt in Kiew

Der ukrainische Präsident Selenskyj betonte, seine Familie werde in Kiew bleiben. Es gebe keine Pläne, sie in den Westen der Ukraine oder außer Landes zu bringen, sagte er. Nachdem der ukrainische Botschafter in London angedeutet hatte, dass sein Land auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichten könnte, um einen Krieg abzuwenden, bekräftigte Selenskij demonstrativ die entsprechenden Ambitionen seines Landes. Die Ukraine wolle Mitglied von Nato und EU werden, sagte er.

Scholz sagte, dass sich diese Frage derzeit nicht stelle. "Die Frage von Mitgliedschaften in Bündnissen steht ja praktisch gar nicht an, und deshalb ist es schon etwas eigenwillig zu beobachten, dass die russische Regierung etwas, das praktisch nicht auf der Tagesordnung steht, zum Gegenstand großer politischer Problematiken macht", kritisierte der Kanzler.

Via Berlin nach Moskau

Seit Beginn des Ukraine-Konflikts 2014 sind bereits fast zwei Milliarden Euro aus Deutschland in das Land geflossen. Die Ukraine wünscht sich von Deutschland auch Waffen, um sich im Ernstfall gegen Russland verteidigen zu können. Die will Scholz nicht liefern. Stattdessen könnte es nicht-tödliche Rüstungsgüter wie Minenräumgeräte, Ortungsgeräte und Funkgeräte geben.

Nach seinem Besuch in Kiew kehrt Scholz am Montagabend für ein paar Stunden nach Berlin zurück. Schon am Dienstag geht es weiter nach Moskau. Dort muss Scholz mit jenem Mann verhandeln, der nach Ansicht der USA kurz davor ist, seinen Truppen den Marschbefehl zu erteilen – für einen Angriff auf die Ukraine. Das Treffen des deutschen Kanzlers mit Wladimir Putin wird international mit Spannung erwartet. Denn die Gespräche in Moskau könnten zu den vorerst letzten Versuchen gehören, die Krise rund um die Ukraine zu entschärfen und einen neuen bewaffneten Konflikt zu verhindern.

G7 drohen mit Sanktionen

Die sieben führenden Industrienationen (G7) haben Russland im Falle eines Angriffs auf die Ukraine mit umfangreichen Sanktionen gedroht. In einer am Montag in Berlin veröffentlichten Erklärung der G7-Finanzminister hieß es, es würde dann eine schnelle, abgestimmte und kraftvolle Antwort geben. Es würde sowohl wirtschaftliche als auch finanzielle Sanktionen gegen Russland geben, die sofortige und massive Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes hätten.

Die G7-Gruppe werde den Ukraine-Konflikt weiter genau beobachten. Priorität hätten sämtliche Maßnahmen, welche die Lage entschärfen könnten. Der Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze sei ein Grund zu großer Sorge. Ziel der G7 sei es, die Unabhängigkeit der Ukraine zu gewähren sowie die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität des Landes zu erhalten. Seit 2014 seien bereits internationale Hilfen von zusammen mehr als 48 Milliarden Dollar zugunsten der Ukraine zur Verfügung gestellt worden.

Deutschland hat in diesem Jahr den Vorsitz der G7 inne. Neben der Bundesrepublik gehören Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA der G7 an. 1998 war das Format durch die Teilnahme Russlands auf die G8 erweitert worden. Wegen der Annexion der Krim von der Ukraine wurde Russland aber 2014 wieder ausgeschlossen.

(Red./APA)

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