Sondersitzung

Nehammer zu Neutralität: "Sind fix nicht die, die sich zurückziehen"

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Rahmen der Sondersitzung des Nationalrates am 8. März 2022
Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Rahmen der Sondersitzung des Nationalrates am 8. März 2022APA/ROLAND SCHLAGER
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Der neue Gesundheitsminister präsentiert sich dem Nationalrat. Kanzler Nehammer und Vizekanzler Kogler heißen ihn willkommen - und geißeln den Ukraine-Krieg.

Der Nationalrat ist am Dienstag zu einer Sondersitzung zusammengekommen - aus zwei Gründen. Zum einen, um die Regierungserklärungen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zu hören. Zum anderen, damit sich der neu angelobte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) den 183 Abgeordneten präsentieren kann.

Nehammer begann seine Rede mit einem kurzen Dank an Wolfgang Mückstein, der nun ein Jahr lang „als Gesundheitsminister den härtesten Job der Welt in einer Pandemie“ ausgeübt habe. Die Zusammenarbeit sei gut gewesen, geprägt von „pragmatischen Lösungen“. Rauch begrüßte der Kanzler sodann „herzlich“ und unumwunden: Die 100 Tage der Schonung in einem neuen Amt gebe es schon lange nicht mehr, meinte Nehammer. „Du bist schon mittendrin und gefordert“, verwies er auf den heute fertiggestellten Bericht der Kommission zur Evaluierung der Impfpflicht gegen das Coronavirus und die anstehende Debatte desselben.

Weitaus ausführlicher widmete sich der Regierungschef den derzeit herrschenden Kämpfen in der Ukraine: Es brauche nun das „entschlossene Handeln des russischen Präsidenten, den Krieg zu beenden“. Wladimir Putins Wort „hat das Gewicht, um das Leid der Menschen zu beenden - jeder Tag zählt, jede Stunde zählt“, appellierte Nehammer an diesen, den Weg des Dialoges einzuschlagen und die Waffen aus der Hand zu geben. „Der Krieg muss enden, die Menschen müssen wieder ein Recht auf Leben in der Ukraine vorfinden.“ Derzeit sei davon nichts zu sehen: Kinder, Frauen, Alte würden in Luftschutzkellern und U-Bahn-Stationen Schutz suchen vor Artilleriebeschuss.

„Putins Gemütszustand" darf nicht ausschlaggebend sein

Und inmitten solcher Bilder, koche in Österreich eine Diskussion über „unsere Neutralität“ hoch, sagte der Kanzler. „Das finde ich besonders interessant, denn die österreichische Neutralität ist keine der Nicht-Meinung haben. Die österreichische Neutralität heißt nicht wegschauen, sondern hinschauen.“ Und sie bedeute, dass Krieg und der Bruch des Völkerrechts, dass der Beschuss von Zivilisten benannt und keinesfalls akzeptiert werde. „Wir sind eine Stimme für die Opfer“, betonte Nehammer. „Wir sind fix nicht die, die schweigen und sich zurückziehen.“ 

Weiters habe er wahrgenommen, so der ÖVP-Chef, dass „die klare Position Österreichs einen Präsidenten beleidigen“ solle, spielte er auf Äußerungen von FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst an. Sie hatte am Vormittag Nehammers Aussage kritisiert, wonach die Sowjetunion Österreich die Neutralität nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch aufgezwungen habe. „Das ist nicht die ganze Wahrheit, unnötig und beleidigend für die Russen", meinte Fürst dazu. Nehammer konterte nun: „Die Frage eines Gemütszustandes kann nicht die Frage sein, ob Krieg oder Frieden herrscht.“ 

„Es heißt eben militärische Neutralität im Ergebnis“, stimmte Vizekanzler Kogler (Grüne) zu. Es heiße aber eben nicht, den „Angriff auf das Völkerrecht“ durch Putin - „ich will gar nicht sagen von Russland“ - hinzunehmen. Das tue weder Österreich noch die UN-Generalversammlung. Letztere habe in einer Resolution den Krieg massiv verurteilt und Putin aufgefordert, sich zurückzuziehen. Manche mögen nun sagen „was kratzt Putin das“, meinte Kogler. Aber: Es sei ein wichtiges Zeichen der Geschlossenheit, ebenso wie die gemeinsamen Sanktionen gegen die Kriegstreiber. „Auch wenn es schwierig aussieht, ich bin der Überzeugung, dass am Schluss Freiheitswille und Demokratie stärker sein werden als Diktatur und Tyrannei“, appellierte Kogler, sich diese Hoffnung nicht nehmen zu lassen.

Rendi-Wagner: „Schlag ins Gesicht der Gründerväter“ 

„Herr Bundeskanzler, es hat leider etwas gedauert, bis sie sich gestern zu klaren Worten zur Neutralität durchringen konnten, aber es war wichtig und richtig“, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Dennoch sei es bemerkenswert, dass der ÖVP-Wehrsprecher Tage zuvor völlig anders geklungen habe. Ebenfalls als befremdlich empfand Rendi-Wagner, die Aussage Nehammers über die angeblich aufgezwungene Neutralität. „Österreich entschied sich 1955 ganz bewusst, keinem Militärbündnis beizutreten - wir wollten neutral sein“, unterstellte sie dem Kanzler „verdrehte Tatsachen und einen Schlag ins Gesicht der Gründerväter unserer Republik“. Im neuerlichen Ministerwechsel ortete Rendi-Wagner ein Zeichen dafür, dass Türkis-Grün nicht fähig sei, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen und die „Regierung am Ende ist“.

FPÖ-Obmann Herbert Kickl begann sein Statement mit der zweiten Strophe der Bundeshymne, „in der Österreich als viel geprüftes Heimatland“ bezeichnet wird. Die türkis-grüne Koalition habe den Prüfungen der Vergangenheit etliche weitere hinzugefügt, kritisierte er: „Sie haben die Freiheit durch Zwang ersetzt, sie haben Spaltung und Ausgrenzung gelebt“ und das alles unter „Zuhilfenahme von Milliarden von Euro, wo das dicke Ende noch hinterherkommt“, skizzierte Kickl das Coronakrisenmanagement. Und weil das noch nicht reiche, habe der Kanzler nun auch noch die rot-weiß-rote Neutralität untergraben, befand der Freiheitliche. „Der Krieg kennt nur Verlierer“, meinte Kickl, daher sei es wichtig nicht mit falschen Worten noch mehr Gewalt und Missgunst zu schüren.

„An großen Aufgaben wurde nichts effektiv bewältigt“, forderte auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger von der Regierung einen Neuanfang ein. Vieles an sachpolitischen Themen sei auf der Strecke geblieben, kritisierte sie. Danach schilderte sie, dass sie am Montag in der Ukraine gewesen sei und dort nicht nur einen Hilfsgütertransport begleitet, sondern auch Helfer, ukrainische Parlamentarier und Fliehende getroffen habe. „So viele kleine Kinder“ hätten versucht, das Land zu verlassen, sagte Meinl-Reisinger und forderte, den Verantwortlichen für all das Leid, „den Aggressor“ Putin dafür zur Verantwortung zu ziehen und „kompromisslos an allen Schrauben zu drehen“.

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