Russland

Kritik im Kreml: Der erste Putin-Freund sucht das Weite

Anatoly Chubais (hier auf einem Archivbild aus dem Vorjahr) befindet sich offenbar in der Türkei
Anatoly Chubais (hier auf einem Archivbild aus dem Vorjahr) befindet sich offenbar in der TürkeiREUTERS
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Anatoly Chubais hat nicht nur den Weg für das System der Oligarchie geebnet, er war Putin auch jahrelang loyal. Bis jetzt. Er hat sich offenbar in die Türkei abgesetzt.

Für Anatoly Chubais wurde offenbar eine Grenze überschritten. Welche Grenze das ist, und wann das passierte, ist nicht ganz klar; jedenfalls dürfte Chubais, 66, mit der Invasion der Ukraine nicht einverstanden gewesen sein. Es heißt, er habe seinen Rückzug per Brief seinen unmittelbaren Kollegen und Freunden mitgeteilt. Und nun soll er nicht nur den Dunstkreis des Kreml, sondern das Land verlassen haben. Es ist bislang der erste Bruch mit dem Präsidenten Wladimir Putin auf hoher Ebene, wie die Agentur Bloomberg berichtet.

Chubais (Tchubais) stand lange Zeit an der Seite Putins, überhaupt war er derjenige, der Putin den ersten Job im Kreml verschaffte. Putin dankte ihm für seine jahrelange Loyalität mit mehreren lukrativen Jobs in Staatsunternehmen, zuletzt war Chubais Regierungsbeauftragter für Klimafragen.

Der Ingenieur und Ökonom begann seine Laufbahn im damaligen Leningrad als Reformer im Wirtschaftswesen, er lobbyierte für die Öffnung der Branche. Er stieg in die Verwaltung in Moskau auf, war Anfang der 1990er Jahre Vize des Ministerpräsidenten Jegor Gaidar, der das Land kurzzeitig kommissarisch regierte; später führte er Wahlkampf für Boris Jelzin und leitete später dessen Büro.

„Ich lag falsch"

Chubais war zu dieser Zeit bereits recht unbeliebt in der Bevölkerung. Er war es, der die große Privatisierungswelle staatlicher Unternehmen leitete und somit auch den Weg für die späteren Oligarchen ebnete. Bereits vergangene Woche setzte Chubais einen kryptischen, doch kritischen Post auf Facebook ab. Zum Todestag seines ehemaligen Chefs Gaidar schrieb er: Dieser habe „die strategischen Risiken besser verstanden als ich, ich lag falsch“. Vor über einem Jahrzehnt warnte Gaidar vor den Risiken einer Sowjet-Nostalgie, die er Putin unterstellte.

Der Sprecher des Kremls, Dmitri Peskov, hat inzwischen den Rückzug Chubais bestätigt. Er habe sein Amt „auf eigene Initiative“ verlassen; ob er nun im Ausland weile oder nicht, sei „seine persönliche Angelegenheit“. Ersten Gerüchten zufolge hat sich der Ökonom in die Türkei abgesetzt. In sozialen Medien kursiert ein Bild, das ihn an einen Bankomaten in Istanbul zeigen soll.

Öffentliche Kritik und vor allem Kritik an der Invasion der Ukraine wird im Kreml nicht geduldet. Putin selbst sprach neulich von „Verrätern und Abschaum“, die sich von den Patrioten unterscheiden würden. Vereinzelt kommt dennoch Kritik auf. Vergangene Woche hat Arkady Dvorkovich seine Funktion als Präsident des staatlich finanzierten Skolkovo Innovationszentrums zurückgelegt, nachdem er sich für eine friedliche Lösung des Krieges in der Ukraine ausgesprochen hatte. Dvorkovich war Berater des ehemaligen Präsidenten und Putin-Weggefährten Dmitri Medvedev und fungierte zeitweise als Vize-Premier.

(duö)

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