Kriegsverbrechen

Das Massaker von Mariupol

Satellitenaufnahmen vom angegriffenen Theater in der Hafenstadt Mariupol.
Satellitenaufnahmen vom angegriffenen Theater in der Hafenstadt Mariupol. [ AFP ]
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300 Zivilisten könnten beim Angriff auf das Theater der belagerten Stadt gestorben sein. Das UN-Büro für Menschenrechte startet Untersuchungen.

Mariupol. Tagelang versuchten die Helfer, Überlebende des Bombardements zu bergen. Am Freitag tauchten neue, schockierende Opferzahlen auf: Bei dem Angriff auf ein Theater in Mariupol im Südosten der Ukraine könnten etwa 300 Menschen getötet worden sein. Das gab nun die Stadtverwaltung von Mariupol unter Berufung auf Augenzeugenberichte bekannt. In dem Theater im Stadtzentrum hatten sich nach ukrainischen Angaben Hunderte Menschen versteckt gehalten. Dann sei das Gebäude bei einem russischen Luftangriff getroffen worden. Fotos zeigen, dass ein Teil des Theaters in Trümmern liegt. Moskau bestreitet, das Gebäude bombardiert zu haben.

„Bis zuletzt will man glauben, dass alle in Sicherheit sind“, erklärte die Verwaltung von Mariupol am Freitag im Online-Dienst Telegram. „Doch die Zeugenaussagen derer, die sich zum Zeitpunkt dieses Terrorakts im Gebäude befanden, sagen das Gegenteil.“ Ein Berater des Bürgermeisters von Mariupol lehnte eine Stellungnahme auf Nachfrage der Nachrichtenagentur AFP ab. Es gebe „wahrscheinlich bis heute Abend weitere Informationen“, sagte der Berater. Vor einer Woche hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij berichtet, dass mehr als 130 Menschen aus dem zerstörten Theater gerettet worden, aber „Hunderte“ weiterhin unter den Trümmern eingeschlossen seien.

Massengrab mit 200 Toten

Angesichts der massiven russischen Angriffe in der Ukraine hat nun auch das UN-Büro für Menschenrechte mit seinen Untersuchungen begonnen. Am Freitag berichtete das Büro von Satellitenaufnahmen aus der Region Mariupol, auf denen ein Massengrab mit vermutlich 200 Toten zu sehen sei. Es sei aber unklar, ob es sich um zivile Opfer von Kriegshandlungen oder gefallene Soldaten handle; oder um Menschen, die zum Teil wegen der zusammengebrochenen Krankenversorgung starben.

Zudem sprach das UN-Menschenrechtsbüro davon, klare Anzeichen für russische Kriegsverbrechen dokumentiert zu haben. Eine abschließende Beurteilung sei aber bisher nicht möglich, sagte die Leiterin des Ukraine-Büros, Matilda Bogner am Freitag in Genf. Geprüft würden Berichte, wonach russisches Militär Flüchtende in Autos oder bei Demonstrationen erschossen habe. Unter anderem hätten Mitarbeiter auch den Einsatz von Streumunition festgestellt. Das Büro prüft zudem Berichte über den Einsatz von Phosphormunition. Solche Brandbomben oder Granaten entzünden sich nach dem Abfeuern durch Kontakt mit Sauerstoff und richten verheerende Schäden an. Moskau wies nun die Anschuldigungen des ukrainischen Präsidenten Selenskij zurück, bei einem russischen Phosphoreinsatz am Donnerstag seien Zivilisten – und darunter auch Kinder – getötet worden.

Das UN-Büro für Menschenrechte äußerte auch Vorwürfe gegenüber der ukrainischen Seite: So gebe es Berichte, dass auch von ukrainischen Streitkräften international geächtete Streumunition eingesetzt worden sei. Zudem seien die von Separatisten gehaltenen Gebiete in der Ostukraine wahllos beschossen worden. In zwei Fällen sollen Menschen wegen angeblich prorussischer Haltung getötet worden sein.

Das Ausmaß der zivilen Opfer und der Zerstörung von zivilen Objekten deutet laut Bogner stark darauf hin, dass beim russischen Angriffskrieg in der Ukraine diverse Prinzipien des Kriegsvölkerrechts verletzt worden sind: Das Verbot wahlloser Attacken, das Prinzip, zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden, die Vorgabe, dass militärische Aktionen verhältnismäßig sein müssen. Die UN-Mitarbeiter haben den Tod von mindestens 1035 Zivilisten dokumentiert. Aber die wahren Opferzahlen liegen nach Ansichts Bogners deutlich höher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2022)

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