Das französische Wahlvolk stimmt nicht nur darüber ab, wer in den nächsten fünf Jahren im Élysée-Palast das Sagen haben wird, sondern auch über die künftige Form der Europäischen Union.
Dass der sechsmonatige EU-Ratsvorsitz Frankreichs ausgerechnet mit dem wichtigsten Urnengang des Landes zusammenfällt, ist einerseits dem Zufall geschuldet, entbehrt andererseits aber nicht einer gewissen Schicksalhaftigkeit. Denn bei der Präsidentenwahl, deren erste Runde am Sonntag über die Bühne ging, entscheidet sich nicht nur die Frage, ob Emmanuel Macron weitere fünf Jahre im Élysée-Palast amtieren darf oder seinen Arbeitsplatz räumen muss, sondern auch die künftige Form und Arbeitsweise der Europäischen Union.
Diese Konjunktion der politischen Sphären findet vor dem Hintergrund der größten Krise Europas seit Jahrzehnten statt: Russlands Überfall auf die Ukraine hat die Sicherheitsarchitektur des Kontinents erschüttert und den Europäern die Fragilität ihrer Union vor Augen geführt – eine Fragilität, der Amtsinhaber Macron durch mehr Kooperation innerhalb der EU und den Aufbau souveräner EU-Strukturen entgegenwirken will. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die Konkurrentin Macrons bei der zweiten Wahlrunde am 24. April, verfolgt wiederum ein anderes Ziel: Sie sieht ihr Land als Einzelspieler und Kooperation innerhalb europäischer Strukturen als lästiges Hindernis auf dem Weg zur herbeigesehnten nationalen Renaissance. Ihre Vision gleicht der „America First“-Ideologie von Donald Trump: France d'abord.