Am Freitag feierte Marie Kreutzers Sisi–Drama „Corsage“ umjubelte Uraufführung in Cannes. Vicky Krieps spielt Elisabeth als widerständige Frau, die ihrer Zeit voraus war. Parallel zeigte das Festival ein brisantes Dokument aus Mariupol.
Ob Kaiserin Elisabeth, lebte sie heute, wohl zu den Filmfestspielen in Cannes reisen würde? Das Blitzlichtgewitter, das hier fraglos über sie hereinbrechen würde, hätte ihr wahrscheinlich nicht sehr zugesagt. Das Wetter an der Côte d'Azur schon eher. Zudem war Sisi bekanntlich künstlerisch interessiert. Die in Cannes laufenden Filme hätte sie vielleicht mit Spannung verfolgt.
Wobei: Schwer vorstellbar, dass sie mit Ernst Marischkas „Sissi“-Trilogie – diesem formschön kitschigen Aushängeschild des austriakischen Nachkriegskinos – viel hätte anfangen können. Dessen zweiter und dritter Teil liefen in Cannes tatsächlich im Wettbewerb. Marischkas verklärtes Bild der Habsburger-Monarchie hat zwar Ewigkeits-, aber wenig Wahrheitswert. Und hätte wohl kaum den Geschmack einer Frau getroffen, die ihr hoheitliches Umfeld in Spottgedichten als „verkommene Brut“ verhöhnte.
Hätte sie sich in Marie Kreutzers jüngstem Film „Corsage“ eher wiederentdeckt? Das bleibt Spekulation. Kreutzer ist jedenfalls der Versuch anzurechnen, in ihrer Fassung der Sisi-Legende dem gängigen Mythos ein Stück weit zu Leibe zu rücken – und diesem das glaubhafte Drama einer Frau entgegenzusetzen, die sich in ihrer Rolle als Repräsentantin einer abgehobenen Staatselite gefangen fühlt.
Einen entfremdeten Eindruck erweckt Elisabeth – eindringlich gespielt von der Luxemburgerin Vicky Krieps – in „Corsage“ von Anfang an. Bei verpflichtenden Staatsakten pflegt sie, genervt vom leeren Gerede und von subtilen Sticheleien der Höflinge, sich per Ohnmachtsanfall aus der Affäre zu ziehen. In ihren Gemächern sucht sie Entspannung und Ablenkung, blödelt etwa mit ihrem schwulen besten Freund Ludwig II. (Manuel Rubey). Raucht einen Tschik nach dem anderen. Oder hält, die Sekunden zählend, in der kaiserlichen Badewanne die Luft an. Ständig ist die einstige „kindliche Kaiserin“ unter Beobachtung: Selbst ihre Schwester und ihre Hofdamen können ihr im streng hierarchisierten K.-u.-k.-System keine wirklichen Freunde oder Vertrauten sein.