Mit dem iPod durch die Medina

schlaflos in Marrakesch. Die Schönen und Reichen tanzen durch, tagsüber pulsiert der maghrebinische Alltag.

Paris trifft Orient. Roter Tep pich, dunkles Holz, Stühle mit Samtbezug. Überall rote und gelbe Rosen. Von der Decke baumeln wahr gewordene Träume von Laternen. Und tauchen das Erdgeschoß in ein warmes, schummriges Licht, gemeinsam mit unzähligen Kerzen.

Gerade einmal vier Minuten dauert die Fahrt im klapprigen Taxi von der mittelalterlichen Medina von Marrakesch zum Club Comptoir im Villenviertel Hivernage. Dennoch wähnt man sich Lichtjahre entfernt. Statt dem landestypischen Jellaba, einem langen Einteiler mit Kapuze, trägt das Publikum Designerklamotten.

Statt um Geld zu bitten und zu betteln, wird gezeigt, was man hat: teure Klunker, trendige Sneaker, tief ausgeschnittene Dekollet©s. Hier treffen sich die Kreativen, Schönen und Reichen der Stadt. Unten zum Speisen und Loungen, oben zum Trinken und Feiern. Der DJ spielt in dieser Donnerstagnacht House und Electro, gemischt mit orientalischen Klängen. In ohrenbetäubender Lautstärke.

Dass es keine richtige Tanzfläche gibt stört niemanden: Die Mädchen tanzen zwischen den kleinen Tischen, am Wochenende auch darauf, erzählt ein Marrakchi im schicken schwarzen Hemd. Und versichert, dass der Club dann noch heftiger brumme und kaum Luft zum Atmen bleibe. Lacht, und zieht zielstrebig zur Bar, von der man durch eine Glasfront auf den gegenüberliegenden Garten hinunterblickt.

Außerhalb der erdig roten Stadtmauern, in Gu©liz, präsentiert sich die einstige Königsstadt heute als pulsierende Metropole. Hier konzentrieren sich die Shops internationaler Ketten, Restaurants, Banken, Caf©s. Kurz: der ganz normale Alltag in Marrakesch. Zwischen Palmen, Gärten und Pomeranzenbäumen. In der Avenue Mohamed V, einer der breiten, von den Franzosen angelegten Prachtstraßen der Nouvelle Ville, herrscht geschäftiges Treiben. Schuhputzer und Zeitungsverkäufer buhlen um die vorbeiziehende Menge.

Es ist laut, sehr laut. Doch das stört die Tagediebe in den leicht französisch angehauchten Straßencaf©s nicht. Sie schauen der vierspurig vorbeiziehenden Blechlawine zu, trinken Kaffee oder Chay und erfreuen sich der hochstehenden Sonne. In den Seitengassen findet man Ruhe - und kleine Galerien, Bars und, man glaubt es kaum, Läden mit fixen Preisen. Nach einem halben Tag Handelns und Feilschens in den Souks ist das durchaus eine Wohltat.

Zweigt man in die Rue de la Libert© ab, kommt man an einem kleinen, feinen Teppichladen vorbei, an der Boulangerie Larebaissance, einer mosaikgeschmückten Bäckerei mit schönen, alten Kronleuchtern. Und landet früher oder später im entspannten Caf© Kechmara. Hohe, weiße Räume, Plastikstühle im Stil Verner Pantons. Eine schöne, lange Bar. Hier fühlt man sich wie in New York, London, Berlin-Mitte. Oder doch einfach: wie in Marrakesch. Zum Bild der Stadt gehört die verschleierte Frau, die mit dem iPod in der Hand durch die Medina spaziert genauso wie das Eselsgespann, das vor dem Designerlokal hält. Und die vielen Ausländer, die ihr Geld in Riads, die herrlichen alten Stadthäuser, gesteckt haben - darunter Stars wie Madonna, Mick Jagger oder Naomi Campbell.

Auch der Kanadier Stephane Talbot ist Neo-Marrakchi: "Als ich das erste Mal kam, war ich hin und weg." Der Sunnyboy arbeitet in einer der Boombranchen des Landes: Golf. Mit Dauerlächeln im Gesicht und einem Walkie Talkie in der Hand steht der ehemalige Profi im Grün des Palmeraie Golf Palace, am Rande der Stadt. Und erzählt, wie Marrakesch endgültig zu einer der führenden Golfdestinationen weltweit gemacht werden soll. Dass die Anziehungskraft der Stadt dazu beiträgt, ist ihm bewusst, mehr noch: "Es wäre fahrlässig, nur zum Golfen hierherzukommen." Recht hat er.

Man könnte etwa einen Abstecher nach Essaouira machen, vor allem dann, wenn es in Marrakesch gar heiß wird. Drei Stunden dauert die Fahrt in die malerische Küstenstadt. Die Belohnung: kühler Wind und kilometerlange Sandstrände. Bekannt ist die Stadt heute als Zentrum von Gnaoua, einer extrem ryhthmusbetonten, ursprünglich aus Senegal, Ghana und dem Sudan stammenden Musik. Jeden Juni strömen bis zu 200.000 Menschen zum Festival d'Essaouira, um die Trommeln und Bässe am eigenen Leib zu spüren. Auch im Rest des Jahres ist Gnaoua omnipräsent: er dringt aus den vielen kleinen Läden der Altstadt und vermischt sich mit dem Lärm der Straße.

Zurück in der Medina von Marrakesch. Die Abendsonne legt sich über die Dachterrasse des Caf© des Epices, einer Wohlfühloase inmitten des hektischen Gewirrs der Souks. Das Geschrei der Händler wirkt weit weg. Der Ausblick ist toll: hinunter auf den Gewürzmarkt, über die Dächer der Altstadt und vor allem auf das Atlasgebirge im Hintergrund.

Moulay gönnt sich eine Pause und nippt an seinem dampfenden Tee. Er betreibt einen kleinen Kräuterladen um die Ecke. "Marrakesch? Ich kann mir keine schönere Stadt vorstellen." Sagt's und zeigt Richtung Atlas. "Im Frühjahr siehst du dort nur das Weiß des Schnees. Das musst du gesehen haben. Das ist einfach unglaublich."

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