Unbedankt und unentschädigt

Geschichte der heimischen Wehrmachtsdeserteure.

Erst seit Beginn des Jahrtausends fand in Österreich eine Auseinandersetzung über Deserteure, Selbstverstümmler und Opfer der Wehrmachtsjustiz statt. Lange galten sie als Feiglinge und Vaterlandverräter. Es ist einer Gruppe von Historikern und Politikwissenschaftlern zu verdanken, dass sich das geändert hat. 2009 holten sie die von der deutschen Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden“ erarbeitete Ausstellung „Was damals Recht war? – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht“, ergänzt um österreichische Beispiele, nach Wien. Die Ausstellung trug wesentlich dazu bei, dass im Oktober 2009 das Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz im Parlament beschlossen wurde, durch das österreichische Wehrmachtsdeserteure endlich als pauschal rehabilitiert gelten.

Nun liegt ein umfassender Sammelband dazu vor. Im ersten Teil wird ein detaillierter Überblick über die Wehrmachtsjustiz und die Folgen nach 1945 gegeben. Walter Manoschek und Hannes Metzler zeichnen in ihren Beiträgen die zum Großteil unrühmliche Geschichte der Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der Wehrmachtsjustiz in Österreich nach. Werner Bundschuh widmet sich der Erinnerungspraxis in der Auseinandersetzung um die zahlreichen Kriegerdenkmäler, auf denen oftmals NS-Verbrecher gemeinsam mit Kriegstoten und Vermissten geehrt werden, und andererseits die fehlenden Denkmäler und Erinnerungsorte für Deserteure.

Heimattreue Deserteure

Der zweite Teil enthält Fallgeschichten der Opfer. Peter Pirker schildert die Deserteursgruppe im Tiroler Vomperloch, einem unzugänglichen Seitental im Karwendelgebirge. Zwischen Frühsommer 1943 und Kriegsende befand sich dort ein Deserteurslager, das überwiegend von einheimischen Wehrmachtssoldaten nach der Desertion genutzt wurde. 1945 war Tirol noch stolz auf die „heimattreuen österreichischen Soldaten, die sich vom Hitler-Krieg losgesagt hatten“, wie es in einer Broschüre heißt, schließlich war es ja notwendig, die Selbstbefreiung zu dokumentieren. 2002 traute sich einer der letzten Zeitzeugen nicht vor die Kamera, weil es in seinem Dorf zu „Unmutsäußerungen“ gekommen war. Die Zeiten der Desertion wurden ihm nicht als Pensionsversicherungszeiten anerkannt und Opferfürsorge gab es selbstverständlich auch nicht. 2006 starb Josef I. unbedankt, unentschädigt und nahezu vergessen.

Im dritten Teil werden zwei Tätergeschichten erzählt. Lisa Rettl schreibt über die Karriere des Kriegsgerichtsrats Leopold Breitler, der sich als Richter, aber auch als Ankläger in Verfahren gegen Selbstverstümmler mit besonderer Härte und Todesurteilen hervortat. Nach kurzer Haft wurde Breitler im Mai 1946 entlassen und arbeitete unbehelligt bis 1963 als Rechtsanwalt. Thomas Geldmacher korrigiert das Bild des Marinerichters, Kieler Oberbürgermeisters und sozialdemokratischen Justizministers Otto Tschadek, gehörig. Da bleibt nicht mehr viel vom „guten Menschen von Kiel“. Dort wird darüber diskutiert, ihm die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen, nicht so in Österreich. Deswegen sind Forschung und Publikationen zu diesem Thema wichtig, besonders, wenn sie so gut gelungen sind wie hier. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2010)

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