Der bedeutendste und eigenwilligste Meister des französischen Kinos wurde 91 Jahre alt.
Der französische Regisseur Jean-Luc Godard ist gestorben. Das bestätigten seine Ehefrau und seine Produzenten der Nachrichtenagentur sda, nachdem zunächst "Libération" darüber berichtet hat. "Herr Godard hat die in der Schweiz legale Hilfe zu einem freiwilligen Abschied in Anspruch genommen", teilte Patrick Jeanneret, ein Berater der Familie, am Dienstag mit. Grund dafür seien seine zahlreichen Krankheiten gewesen. Godard wurde 91 Jahre alt.
Der französisch-schweizerische Jean-Luc Godard hat das Kino weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus beeinflusst. Dabei machte er sich allen voran durch experimentelle Erzählstrukturen und Gestaltungsformen einen Namen. Neun Werke, die ihn definierten: (c) APA/AFP/- (-)
„Außer Atem“ (À bout de souffle), 1960: Jean-Paul Belmondo, der Draufgänger und Jean Seberg, das Mädchen aus Amerika, verlieben sich in dieser Kriminalromanze, die in ihrer sprunghaften Inszenierung ihresgleichen suchte. (c) imago/ZUMA/Keystone (imago stock&people)
Godard wäre nichts ohne die Frauen, die er unvergesslich ins Bild gesetzt hat: Jean Seberg in „Außer Atem“, Anna Karina in „Vivre sa vie“ und „Pierrot le Fou“, Anne Wiazemsky in „La chinoise“ und eben Brigitte Bardot in „Die Verachtung“ (Le Mépris, 1963, im Bild. Michel Piccoli spielt darin einen Drehbuchautor, dessen Ehe bei den Arbeiten zu einem Odysseus-Projekt zerbricht. (c) imago images / United Archives (via www.imago-images.de)
In „Elf Uhr nachts“ (Pierrot le fou, 1965) spielt Jean-Paul Belmondo einen jungen Mann, der aus der bürgerlichen Gesellschaft ausbricht und mit seiner Ex-Freundin durchbrennt. Ein (farben)prächtiger Krimi-Essay um ein Amour-fou-Paar, Musik und Dynamit. (c) imago images/ZUMA Wire (Pino Granata via www.imago-image)
In Filmen wie „Weekend“ (1967, im Bild) und „Die Chinesin“ (La Chinoise, 1967) brach Godard immer häufiger die Erzählstrukturen auf. Er erklärte das „alte“ Kino für beendet, um es auf andere Weise zusammenzufügen. So prangt am Ende von „Weekend“ der Schriftzug „Fin du cinéma“. (c) imago images/Everett Collection (Courtesy Everett Collection via)
„Die fröhliche Wissenschaft“ (Le Gai Savoir, 1968) läutete Godards Phase der totalen Abkehr von gängigen Gestaltungsformen ein. In dem gestalterischen und gedanklichen Kinoexperiment treffen sich Emile Rousseau (Jean-Pierre Léaud), ein Nachfahre des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau, und Patricia Lumumba (Juliet Berto), die Tochter eines ermordeten kongolesischen Freiheitskämpfers. Sie diskutieren über die Unterdrückung der Gesellschaft und den Sinn von Bildern und Worten. (c) Filmverleih
In „King Lear“ (1987) trat er höchstpersönlich auf, mit Kabeln auf dem Kopf, ein kulturpessimistischer Guru und Narr, von dem es heißt: „Wenn der Professor furzt, beben die Berge“. Ein Beispiel für Godards absurden Humor. (c) imago stock&people (imago stock&people)
In dem achtteilige Videoprojekt „Histoire(s) du cinéma“ (1998) kann man Godard quasi beim Denken zuschauen: Einstellungen und verfremdete Aufnahmen aus Filmen kommunizieren hier auf teils erstaunliche, teils undurchdringliche Weise miteinander, verschmelzen oder werden von Textfragmenten, Standbildern und Musikschnipseln überlagert, um in der Montage neue und verborgene Bedeutungen freizusetzen. (c) imago images/Ronald Grant (Mary Evans Picture Library via w)
2014 drehte er „Adieu au langage“ zum Teil mit Handykameras – und spielte mit 3-D, als wäre er ein Kind. (c) Filmverleih
2018 präsentierte er seinen letzten Film in Cannes, „Bildbuch“ (Le livre d'image): ein gleichermaßen lyrisch-freier wie verkopft-verschrobener Filmessay, der finsterste Untergangsstimmung verbreitet. (c) Filmverleih
Jean-Luc Godard: Neun Werke des Meisterregisseurs
Mit seinem Debüt „Außer Atem“ schlug Godard 1960 eine Bresche in die Nachkriegskulturlandschaft. Voll Ungestüm brach der Film, im Grunde eine stinknormale Kriminalromanze, mit verstaubten Kinokonventionen, indem er seinem Spieltrieb freien Lauf ließ. Statt wie üblich im Studio zu drehen, hielt Godard die Cafés und Straßen mit seiner Handkamera fest, vor der sich Jean-Paul Belmondo frei bewegte. Seine Schnitte folgten weder Regeln noch einem Rhythmus. Mit seinen frühen Filmen wurde Godard Teil der Nouvelle Vague, zu der etwa auch François Truffaut oder Eric Rohmer gehörten.
Doch ab Mitte der 1960er-Jahre brach er in Filmen wie "Weekend" und "Die Chinesin" immer häufiger die Erzählstrukturen auf. Seine Geschichten wurden fragmentarischer, Bilder und Szenen verloren ihren inhaltlichen und zeitlichen Bezug zueinander. Nach 1967 sprach Godard auch nicht mehr von Filmen, sondern von Bildern und Tönen.
Mehr als hundert filmische Arbeiten
Sein überbordendes, mehr als hundert filmische Arbeiten umfassendes Werk ist facettenreich. Als einer der ersten Filmkünstler experimentierte er in den 1970ern mit den Montage- und Verfremdungsmöglichkeiten von Videotechnologie. 2014 drehte er „Adieu au langage“ zum Teil mit Handykameras – und spielte mit 3-D.
Zur Person
Jean-Luc Godard wurde am 3. Dezember 1930 in Paris in eine protestantische bürgerliche Familie geboren, die in Frankreich und der Schweiz lebte.
Nach dem Schulbesuch in Nyon im Schweizer Kanton Waadt ging er nach der Scheidung seiner Eltern zurück nach Paris. In den 1950er-Jahren schrieb er als Filmkritiker für die "Cahiers du cinéma", der Zeitschrift des großen Vordenkers des französischen Autorenkinos André Bazin.
Zu seinen vielen Auszeichnungen gehört auch ein Ehren-Oscar, der ihm 2010 für sein Lebenswerk verliehen wurde. Eine offizielle Trauerfeier für den Regisseur soll es nicht geben, wie es am Dienstag in einer Stellungnahme hieß.