Tschechien: Ärzte auf der Flucht

Tschechien aerzte Flucht
Tschechien aerzte Flucht(c) REUTERS (ANDREA DE SILVA)
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Wegen schlechter Gehälter und Arbeitsbedingungen droht Tschechien in Kürze ein Exodus der Spitalsärzte. 40 Prozent wollen kündigen – und großteils ins Ausland abwandern.

Roswitha Wiedemann, Sprecherin des südbayrischen Klinikums Ostallgäu-Kaufbeuren, konnte sich gar nicht wieder einkriegen: „Wir haben einen jungen tschechischen Assistenzarzt in der Anästhesie und sind sehr, sehr zufrieden mit ihm. Das ist ein Grund, wieso wir heute hier in Prag sind. Wir haben weitere sieben freie Assistenzarztstellen, und wir wissen, dass junge tschechische Ärzte gut ausgebildet sind.“

Das Spital war eines von mehr als 30 aus Deutschland und Österreich, die jüngst in Prag eine Jobmesse veranstalteten. Mehr als 5000 meist junge tschechische Mediziner kamen. Das Interesse an Arbeit im nahen Ausland war so groß, dass die Vordrucke für die Bewerbungen gar nicht reichten.

„Nur weg hier!“

Petr Novotny und Gattin Eva, er Chirurg, sie Anästhesistin in Prag, sind unter denen, die es nach Deutschland zieht. Beide sind Anfang 30 und kinderlos. „Uns hält hier nichts. Nur weg“, sagt Eva auf Deutsch, das sie bei einem Praktikum in Deutschland lernte.

Die Gründe: „Vor allem die schlechte Bezahlung hier. Ich komme mit haufenweise Überstunden im Monat auf umgerechnet 1200Euro.“ Petr verdient noch weniger, er darf bis heute nicht operieren, weil er Chefs vor seiner Nase hat, die darauf achten, dass ihnen kein Junger über den Kopf wächst. Das Geld ist zwar für tschechische Verhältnisse nicht schlecht, aber wir können uns keine eigene Wohnung leisten. Haben wir dafür so lange studiert?“, fragt sie. „Dabei geht's uns noch gut. Fragen Sie mal junge Ärzte in Provinzspitälern.“

In deutschen Spitälern habe sie „eine andere Welt“ erlebt. Und so konnte sie ihren Mann begeistern. Der spricht zwar nicht Deutsch, aber gut Englisch. „Ich redete gerade mit einem Chefarzt, der versprach, dass ich das nötige Deutsch schnell lernen werde. Die Klinik werde notfalls einen Sprachlehrer auftreiben“, frohlockt er.

Das große Sesselrücken

Der Mediziner-Fang in Tschechien hatte vor drei Jahren angefangen, als vor allem ostdeutsche Krankenhäuser Anzeigen in tschechischen Ärztemagazinen schalteten. Viele ostdeutsche Ärzte waren nämlich den höheren Gehältern im Westen Deutschlands nachgezogen und hinterließen Lücken. Die wurden schrittweise auch durch tschechische Mediziner gefüllt; an deren Stelle wieder traten slowakische Ärzte, die in Tschechien mit offenen Armen empfangen wurden. Und in der Slowakei öffneten sich so Jobs für ukrainische Ärzte, die sich vorkamen wie im Paradies.

Der Frust der tschechischen Spitalsärzte ist groß. Von etwa 16.000 wollen bis Jahresende bis zu 7000 kündigen. In manchen Regionen, etwa um Jihlava (Iglau), wollen 80 Prozent weg; die genaue Zahl soll am 20.Dezember publiziert werden, wenn die Aktion „Danke, wir gehen“ Bilanz zieht. Im schlimmsten Fall steht das Gesundheitswesen vor dem Kollaps, und zwar spätestens am 1.März, wenn die Kündigungen wirksam werden.

Nicht alle „abtrünnigen“ Ärzte wollen indes nach Österreich, Deutschland oder auch Großbritannien: Viele wollen (teils wegen der Sprachbarriere) auch in die lokale Pharmaindustrie, wo man bei geregelten Arbeitszeiten weit mehr als in einer Klinik verdient.

Noch scheint die Regierung nicht an den drohenden medizinischen Super-GAU zu glauben, sie weigert sich, über eine Verbesserung der Bezüge der Ärzte auch nur nachzudenken. Die Mitte-Rechts-Regierung trat freilich auch an, um massiv zu sparen; im öffentlichen Dienst will sie 2011 die Gehälter um zehn Prozent senken.

Vor Tagen ließ aber Gesundheitsminister Leoš Heger durchblicken, dass es eng werden könnte: „Wir müssen eventuell die Reserven anzapfen, die an sich für Katastrophenfälle vorgesehen sind.“ Aber ein Zustand, wo mangels Ärzten nicht mehr operiert werden könne, sei ja eine Katastrophe.

Nervosität in den Spitalsleitungen

Die Leitungen der Krankenhäuser sind nervös: Zdeněk Tušl, Vizechef des Spitals von Hradec Králové (Königgrätz), wirft der Regierung vor, die Lage fatal zu unterschätzen. In seinem Haus haben 70 Prozent(!) der Ärzte die Kündigung hinterlegt. „Sollte nur die Hälfte wirklich gehen, können wir maximal Notoperationen machen“, sagt Tušl.

Eva und Petr Novotny haben darob kein schlechtes Gewissen: „Patienten warfen uns vor, wir würden sie im Stich lassen für ein süßes Leben in Deutschland“, sagt Eva, „aber ist es nicht normal, dass man im Leben vorankommen will? Leider regiert bei uns weiter die Meinung, dass die Gleichheit im Sozialismus viele Vorteile gehabt habe. Dass man 1989 für Freiheit und Marktwirtschaft auf die Straße ging, ist vergessen. Wir nehmen uns jetzt die Freiheit, zu gehen.“

Hintergrund

Vor drei Jahren zogen erste tschechische Spitalsärzte wegen der höheren Löhne nach Ostdeutschland; dort waren Stellen frei, weil ostdeutsche Ärzte ihrerseits in den Westen abgingen. In viele leere Spitalsärzteposten in Tschechien zogen Slowaken nach, und diesen wiederum Ukrainer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2010)

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