Culture Clash

Es geht ums Vertrauen

Das Menschenrecht auf Unschuldsvermutung ist genau so wenig eine Nebensache im Rechtsstaat wie das Verwischen der Grenzen zwischen Behauptung und Fakt.

Als ich noch Teil der „Presse“ war, versuchte Benedikt Kommenda als „Chefjurist“ der Redaktion immer wieder beizubringen (und tut das wahrscheinlich immer noch), dass es nicht ausreicht, „Es gilt die Unschuldsvermutung“ unter einen Artikel zu pappen. Denn laut §7b Mediengesetz haftet der Medieninhaber, wenn sein Medium jemand ohne rechtskräftige Verurteilung als schuldig auch nur „hinstellt“, und dabei kommt es auf die Gesamtdarstellung im Artikel an. Die Floskel: „Es gilt die Unschuldsvermutung“ ist für sich allein wirkungslos.

Ihre inflationäre Verwendung dürfte aber dazu beigetragen haben, die Unschuldsvermutung als bloßen Formalismus zu betrachten. Dabei ist sie sogar ein Menschenrecht (Art. 11 MRK: „. . . ist so lange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld nachgewiesen ist“). Und Wikipedia spricht von einem „der Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens“. Mich hat es daher befremdet, dass Bundespräsident Van der Bellen am Donnerstag die Behauptungen des um einen Kronzeugenstatus werbenden Thomas Schmid zwar vorsichtig „mutmaßliche Korruptionsverdachtsfälle“ genannt, aber doch in der Gesamtdarstellung den Eindruck bedient hat, dass „das, was in den letzten Tagen zum Korruptionsthema wieder öffentlich wurde“, als Fakt zu nehmen ist. Und dass er es als unzureichend erklärt hat, „sich auf die Unschuldsvermutung oder den Ausgang von Verfahren zurückzuziehen“.
Die Unschuldsvermutung verbietet natürlich niemandem, sich ein persönliches Urteil über den Wahrheitsgehalt von Vorwürfen zu bilden, darüber zu sprechen oder etwa Neuwahlen zu fordern. Aber habe nur ich den Eindruck, dass die Feuerwalze der Vorverurteilung heute immer lodernder brennt, ausgerechnet von Akten der Korruptionsstaatsanwaltschaft befeuert? Was, wenn das, was wir hier an der Arbeit sehen, nicht nur der Rechtsstaat ist, sondern auch seine politische Instrumentalisierung?

Gerade die aktuelle Situation ruft nach Behutsamkeit. In einer ersten Studie über den „Probebetrieb“ der Kronzeugenregelung 2015 zitiert die Autorin einen Staatsanwalt: „Ich würde niemals etwas anklagen, das nur auf der Aussage eines potenziellen Kronzeugen beruht? Weil man immer im Hinterkopf behalten muss: Vielleicht sagt er das wirklich nur, um seine Haut zu retten.“ Mir wäre wohler, würde der Bundespräsident die Unschuldsvermutung hochhalten – und auch den „Ausgang von Verfahren“. Schließlich sind Richtersprüche und nicht Schuldvermutungen die Garanten des Rechtsstaates und seine eigentliche Antwort auf die Korruption.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

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