Gastkommentar

Bequemer Gratismut grassiert

Einwurf. Die Heuchelei feiert Triumphe. Vor allem in Deutschland. Die Boykottaufrufe gegen die Fußball-WM in Katar sind lächerlich.

Der Autor:

Eckhard Jesse ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der TU Chemnitz und leidenschaftlicher Fußballfan.

Die am Sonntag begonnene Fußball-WM im muslimisch geprägten Katar, einem reichen und autoritär regierten Emirat, das die Menschenrechte wenig achtet, steht unter keinem guten Stern. Die Vergabe an das Land durch das Fifa-Exekutivkomitee war und ist von Korruptionsvorwürfen überschattet. Was aber jetzt – im Vorfeld der Spiele – an Erregung hochkocht, spottet jeder Beschreibung. Auf Bannern heißt es, in Anspielung auf das Schicksal von Wanderarbeitern in Katar: „Wer auch nur ein WM-Spiel schaut, macht sich mitschuldig an Zigtausenden Toten“ – wobei über die Zahl der Toten durchaus große Unklarheit herrscht: Und wer kein Spiel schaut? Diese Boykotts sind lächerlich.

Wintermärchen . . .

Wer sich als Anhänger der Universalität der Menschenrechte versteht, wie der Autor dieses Texts, lehnt damit jeglichen kulturellen Relativismus ab. Was paradox anmutet: Viele Linksliberale befürworten offene Grenzen, plädieren für multikulturelle Gesellschaften und spielen Gewalt von Migranten herunter, damit „Rechte“ aus ihr keinen Honig saugen. Sie sprechen schnell von Islamophobie und von antimuslimischem Rassismus. Jetzt aber sind sie die Ersten, die für „unsere Werte“ eintreten, wenn es dortige Machthaber betrifft. Die überschäumende Kritik, die selbst vor Häme nicht haltmacht, grenzt an Bevormundung und westlichen „Kulturimperialismus“. Sie fällt wohlfeil aus. Warum nimmt moralisierender Überschwang nicht den Wandel zum Besseren in Katar wahr, wohl wissend, dass der Komparativ weniger als der Positiv ist?

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