Interview

Michael Maertens: "Ich bin der wahrscheinlich letzte Jedermann"

Michael Maertens
Michael MaertensAPA/BARBARA GINDL
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Nach ihm komme wohl eine Frau, meint der neue Jedermann-Darsteller Michael Maertens im „Presse"-Interview. Ein Gespräch über seine weibliche Seite, Rollen mit Fallhöhe und die Komik, die er einbringen will.

Durchgesickert war es bereits, nun ist es offiziell: Der 59-jährige Michael Maertens wird ab 2023 für vorerst zwei Jahre den Jedermann bei den Salzburger Festspielen darstellen - an der Seite von Valerie Pachner, die nicht nur die Buhlschaft, sondern auch den Tod spielen wird. Maertens wird somit der 21. Jedermann der Festspielgeschichte. Wie könnte er ihn anlegen? Und was könnte danach kommen? Der Burgschauspieler im „Presse"-Gespräch.

Sie haben gesagt, mit den Salzburger Festspielen und dem „Jedermann“ könnten Sie sich gut identifizieren. Inwiefern?

Ich habe in einer ganz großartigen Zeit bei den Salzburger Festspielen debütiert, unter Gerard Mortier, da war Peter Stein der Schauspielchef, und ich hab mit Luc Bondy „Das Gleichgewicht“ gemacht an der Seite von Jutta Lampe und Martin Benrath. Da hat mich dieses Festival fasziniert. Die Atmosphäre, die unglaublichen Künstler, die da an einem vorbeigelaufen sind, die Aufführungen: Da hab ich mich verliebt in das Festival. Das wird jetzt gekrönt durch eine der berühmtesten Rollen, die man in Salzburg spielen kann.

Es gibt ja nicht viele Rollen auf der Welt, die derart von Schauspieler zu Schauspieler weitergereicht werden. Im Film gibt es James Bond, im Theater den Jedermann. Eine Adelung?

Ja, vielleicht. Von außen wird das so gesehen. Das empfindet man aber selber nicht so. Ich kann nur immer wieder betonen: Ich bin wahnsinnig stolz und beglückt, dass ich von den Vorgängern in der jüngsten Vergangenheit, Herrn Moretti, Herrn Ofczarek und Herrn Eidinger, die Staffel übernehmen darf.

Wer war der beste Jedermann in der Geschichte der Festspiele?

Ich habe ja so viele gar nicht gesehen! Wer der Beste war, kann ich nicht sagen. Aber ich kann mit Fug und Recht sagen, dass mir die Interpretation von Herrn Eidinger letztes Jahr sehr gut gefallen und mir die Augen geöffnet hat, wie modern und heutig man das spielen kann. Da wusste ich ja noch nicht, dass ich als nächster dran bin. Da hab ich mir richtig gedacht: Mensch, das ist schon eine tolle Rolle, das würde ich eigentlich auch gerne mal machen!

Ist es eine Rolle, auf die man sich als Schauspieler ein Leben lang vorbereitet?

Nein, das überhaupt nicht. Weil wenn man sie dann nicht spielt, dann hat man sich ein Leben lang umsonst vorbereitet.

Wie lange träumen Sie schon davon, den Jedermann zu spielen?

Ich habe ja tatsächlich mein Theaterdebüt als Elfjähriger gegeben in Heppenheim am Odenwald an der Weinstraße in Hessen. Da hat mein Vater den Tod gespielt, Klaus Wildbolz war der Jedermann, und ich stand da an der Hand von Schuldknechts Weib und hab als kleiner Junge schon geträumt: Wäre toll, wenn ich Klaus Wildbolz wäre!

Was macht dieses Stück denn so spannend? Selbst Regisseur Michael Sturminger sagt, dass es sperrig sei – und dass Hofmannsthals größerer Wurf eigentlich das Libretto zu Richard Strauss' Oper „Ariadne auf Naxos“ sei.

Ich finde schon, dass das eine Figur ist, die Shakespear'sche Dimensionen hat. Ich vergleiche ihn immer gern mit Richard II – das ist einer meiner größten Erfolge. Ähnlich wie der Jedermann ist das ein am Höhepunkt seiner Macht, am Zenit seines Seins stehender Mann, der auf einmal mit einem unglaublichen Absturz konfrontiert wird. Diesen reflektiert er so wunderbar, kommt zu erstaunlichen Erkenntnissen, zu einer großen persönlichen Veränderung. Und so geht es dem Jedermann ja auf eine Art auch. Das ist eine große tolle Fallhöhe für jeden Schauspieler – und ich glaube sogar, dass ich da mein mir oft nachgesagtes komödiantisches Talent auch noch unterbringen kann, weil wir amüsieren uns ja am meisten über Leute, die Unglück haben. Wir lachen, wenn Leute fallen oder gegen Türen rennen oder abstürzen. Ich glaube, dass in der Not, in der sich der Jedermann befindet, auch eine gewisse Portion Komik drinsteckt.

"Ihr" Jedermann könnte also ein komischer sein?

Das kann ich noch nicht sagen, aber ich hab da so eine Ahnung, dass etwas drinsteckt, was vielleicht noch nicht so häufig gemacht wurde. Aber vielleicht werde ich auch feststellen, dass es ganz anders ist. Dafür sind ja Proben da.

Stichwort Fallhöhe: Kann man also auch daran scheitern?

Ja. Ich bin schon oft gescheitert. Ich bin als Hamlet gescheitert, ich bin als Homburg gescheitert (Anm: Kleists "Prinz Friedrich von Homburg"). Ich habe mir aber nicht vorgenommen, zu scheitern. Obwohl Jürgen Flimm einmal zu mir gesagt hat: "Du bist immer so perfekt und virtuos, du musst das Scheitern lernen, das ist wichtig für dich!"

Als relativ verkopfter Schauspieler, der sich präzise vorbereitet, muss das Scheitern umso bitterer für einen sein.

Ja, das ist unser Schicksal. Wenn man nicht zufrieden ist, dann nimmt das einen mit. Das Gute, das Faszinierende am Theater ist ja, dass ich immer wieder eine neue Chance bekomme. Wir arbeiten nach der Premiere weiter. Deshalb empfehle ich oft gerade Kritikern: Guckt euch das einmal nach der 12. Vorstellung an, dann würdet ihr vielleicht ganz anders schreiben.

In Salzburg sind Gossip, Glamour und das ganze Drumherum manchmal größer als die Aufmerksamkeit für die Bühnenkunst. Wie gehen Sie damit um?

Da habe ich ja das Glück, dass ich so eine schöne junge Frau an meiner Seite habe, die fängt da schon einmal viel ab. Und dann habe ich auch noch so einen Vorabendserien-Kasper (lacht). Das sage ich, weil ich mit ihm befreundet bin: Helmfried von Lüttichau (er spielt den guten Gesellen, Anm.) ist ein ganz toller Schauspieler, der wird mir bestimmt auch ganz viel Arbeit abnehmen. Und dann haben wir auch noch Anja Plaschg (sie spielt den Glauben, Anm.), die ist sozusagen für den "Falter"-Leser zuständig. Ich werd‘ mich da schon durchwinden. Ich werde nicht bei jedem Schwammerlessen dabei sein.

Mit Valerie Pachner, die Buhlschaft und Tod spielt, haben Sie noch nie zusammengearbeitet, aber kennen Sie ihre Arbeit?

Ja, die kenne ich sogar recht gut. Im Film von Terrence Malick (Anm.: "Ein verborgenes Leben") habe ich sie das erste Mal so richtig wahrgenommen. Dann hat auch Frau Hörbiger, die Mutter meiner Kinder, mit ihr einen ganz tollen Film von Marie Kreutzer gemacht (Anm.: "Der Boden unter den Füßen"). Als man mir dann sagte, dass sie das wird, habe ich mich sehr gefreut.

Haben Sie eine Lieblingszeile aus dem "Jedermann"?

Nein. Noch nicht. Als Kind hatte ich die bestimmt. Aber als Kind war ich ja eher begeistert vom Tod und vom Teufel. Über den Teufel musste ich immer lachen, vor dem Tod hatte ich Angst. Das ist ja auch ein großes Indiz, dass das kein schlechtes Stück ist: Denn Kinder haben großes Gespür für Qualität.

Haben Sie Michael Sturminger Dinge genannt, die sie auf keinen Fall machen wollen? In Highheels auftreten zum Beispiel?

Nein, so bin ich nicht. Es gehört zu meinem Beruf, offen und mutig zu sein. Ich mag es nicht, wenn Schauspieler so etwas als erstes sagen. Man muss es ausprobieren und dann wird man sehen, ob es gut ist oder nicht.

Wie finden Sie es, dass Tod und Buhlschaft jetzt in einer Doppelrolle vereint sind?

Im ersten Moment dachte ich: Hä, das geht doch gar nicht? Dann habe ich es überprüft: Das geht tatsächlich. Dann habe ich, weil ich auch ein bisschen naiv bin, gedacht: Ah, der Eros ist der Tod. Das erschien mir dann nach zehn Minuten ein bisschen platt und doof. Dann haben wir weiter darüber geredet, auch mit Frau Pachner, und haben erkannt: Ne, das ist zu einfach, da steckt mehr drin. Vielleicht spielt sie tatsächlich zwei Rollen, die Buhlschaft und den Tod – und wie der Zuschauer das zusammensetzt, was er in seinem Kopf daraus macht, das wird das Spannende sein. Ich finde es für sie ganz toll, weil die Frage nach der Farbe des Kleids der Buhlschaft oder dem Dekolleté dadurch in den Hintergrund gerät.

Soll nach Ihnen auch einmal eine Frau diese Rolle spielen – oder ist der Jedermann ein Mann?

Unbedingt! Das wird auch bestimmt bald eine Frau spielen. Ich glaube, ich hab auch irre Glück gehabt, dass ich da noch gerade so reingerutscht bin, als wahrscheinlich letzter Mann für viele Jahrzehnte! Und, weil viele zu mir sagen, ich wäre schon so alt: Ja, ich bin alt, aber ich bin auch ein Kind. Vielleicht hat man gar den Eindruck, da steht ein Siebenjähriger auf der Bühne. Und ich habe wirklich – und das sage ich nicht kokett - eine ganz große weibliche Seite in mir. Ich glaube sogar, ich sollte eigentlich eine Frau werden. Alle meine Figuren sind androgyne Persönlichkeiten. Ich bin ein guter Wegbereiter für die nächste Jederfrau.

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