Die Angriffe auf lebensnotwendige Infrastruktur nehmen stark zu. Wie völkerrechtlich dagegen vorgegangen werden kann.
DER AUTOR
Hannes Tretter(*1951) ist a.o. Univ.-Prof. i.R. für Grund- und Menschenrechte an der Universität Wien und Vorstandsvorsitzender des Wiener Forums für Demokratie und Menschenrechte (www.humanrights.at).
Der Deutsche Bundestag hat kürzlich unter dem Begriff „Holodomor“ (Ukrainisch „holod“, Hunger, und „moryty“, umbringen) die 1932 und 1933 von Stalins Politik wissentlich ausgelöste Hungersnot in der Ukraine mit drei bis vier Millionen Toten „historisch-politisch“ mit folgendem Argument als „Völkermord-nahe“ eingestuft: „Die betroffenen Regionen wurden abgeriegelt, um die Flucht der Hungernden in die Städte und den Transport von Lebensmitteln in die Regionen zu verhindern.“ Damit folgt Deutschland ansatzweise Australien, Irland, Kanada, Mexiko, Polen, Portugal, Rumänien und Tschechien, die den Holodomor bereits früher als Völkermord anerkannt haben.
Leider fehlt der deutschen Erklärung eine klare Bezugnahme und ein Vergleich auf die von Wladimir Putin seit Herbst angeordneten militärischen Angriffe auf die Energieversorgung und Infrastruktur der Ukraine, die Hunger und Tod zur Folge haben.
Lange Zeit konnten keine Hinweise gefunden werden, dass Russland in der Ukraine neben Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem Verbrechen der Aggression auch Völkermord begeht, der nach Artikel II der Völkermordkonvention 1948 vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) und nach Artikel 6 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor diesem verfolgt werden kann.