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Das Strahlen Afrikas

„Return“: Die Wirkung von Orange, Rot, Violett, Blau und Grün floss in ihren Bildern ineinander.
„Return“: Die Wirkung von Orange, Rot, Violett, Blau und Grün floss in ihren Bildern ineinander.Albertina
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Ausstellung. Die Albertina zeigt mit „Africa: Visions of Light and Colour“ eine groß angelegte Retrospektive zum Oeuvre der deutschen Malerin Ruth Baumgarte.

„Lavaströme von Farben“: Als solche bezeichnet Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder den koloristischen Kosmos von Ruth Baumgarte. Die deutsche Malerin und Galeristin reiste seit den 1950er-Jahren rund vierzig Mal nach Afrika – was sie heimbrachte, waren unzählige Skizzen, aus denen sie in ihrem Atelier dann farbgewaltige Gemälde, Gouachen, Aquarelle und mehr anfertigte. Sie fasste das Licht des Südens und die Mentalität der Bewohner von Ägypten, Kenia, Tansania, Äthiopien, Simbabwe und weiteren Ländern in Kunst. Der 2013 verstorbenen, großen zeitgenössischen Koloristin ist nun in der Albertina eine umfassende Ausstellung gewidmet. Erstmals ist ihr Oeuvre hierzulande in dieser Breite zu sehen.

Erweckungserlebnis

„Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“ So soll Paul Klee ausgerufen haben, als er 1914 in Tunesien war. Auch für Ruth Baumgarte waren die Aufenthalte in Afrika ein veritables Erweckungserlebnis – eine einschneidende Erfahrung, wie es auch zuvor die Entdeckung der Sonne der Provence für Vincent van Gogh, wie es das Licht Südfrankreichs für die Fauves war. Das Erleben des gleißenden Lichts auf dem afrikanischen Kontinent regte Ruth Baumgarte zur Verwendung einer völlig neuen Farbpalette an: Stark gesättigte Töne von hoher Intensität und Strahlkraft fanden Eingang in ihre Werke. Das tiefe Leuchten und die Intensität der Farben suchen in der zeitgenössischen Kunst ihresgleichen. Fast möchte man sagen, dass die Motive zurücktreten gegenüber der ästhetischen Macht und Wirkung – so kraftvoll sind die sprühenden Explosionen aus Orange, Rot, Ocker, Violett und vielem mehr.

„Ruth Baumgarte brachte mit ihrem explosiven Spätwerk das gleißende Licht Afrikas nicht nur nach Europa, sondern auch in die USA“, beschreibt Kuratorin Angela Stief. „Das tief empfundene Licht des Südens war so zuvor noch nicht dargestellt worden.“ Und auch Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder betont: „Mit der einzigartigen Intensität ihrer Gemälde reiht sie sich in die Genealogie der großen Koloristen des 20. Jahrhunderts ein. Die afrikanischen Länder waren für sie der Motor, um jene Farbimpressionen freisetzen zu können, denen sie unter dem verhangenen Himmel ihrer deutschen Heimat nicht begegnen konnte.“ Gleichzeitig sieht Schröder die Allegorisierung der Motive als dadurch motiviert, dass die Künstlerin bei ihren Entdeckungstouren auch Unbehagen über die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Kulturkreisen empfand: „Ruth Baumgarte fertigte ihre Afrika-Bilder zu einem Zeitpunkt an, als Fragen nach künstlerischer Aneignung und kultureller Enteignung noch nicht diskutiert wurden wie heute im Zeitalter postkolonialer Diskurse. Trotzdem erkannte sie intuitiv, dass politische, soziale und kulturelle Asymmetrien, die sich als Culture Clash manifestieren, nicht in einer oberflächlichen Harmonie aufgelöst werden können, sondern in spannungsgeladenen Farbkompositionen gestalterisch problematisiert werden müssen“, so schreibt der Direktor im Vorwort zum Katalog. Baumgarte hinterfrage „die Grenzen des eigenen Blicks durch die visuelle Aneignung des anderen, des fremden Kontinents, der jahrzehntelang unter dem grausamen Joch des Kolonialismus gelitten hatte“.

„African Vision“: Das Bild der afrikanischen Frau in Relation zur Gemeinschaft war oft Thema für Ruth Baumgarte.
„African Vision“: Das Bild der afrikanischen Frau in Relation zur Gemeinschaft war oft Thema für Ruth Baumgarte.Albertina

Baumgartes Umgang mit unbekannten Kulturen war ein sensibler. Sie versuchte, diese mit großer Empathie aufzunehmen, nicht nur kognitiv rational, sondern mit den Mitteln der Kunst. Die Künstlerin machte es sich auf ihren vielen Reisen zur Aufgabe, Wahrnehmungen zu erforschen und den kolonialen Blick mit viel Gefühl zu hinterfragen. Die Kunst sollte ihr helfen, andere Lebensanschauungen zu erkunden und prekäre Lebensbedingungen ebenso zu verstehen wie die Verbundenheit der Menschen mit ihrer Umgebung. Vor allem die afrikanische Frau in ihrem Lebensumfeld und als Teil einer Gemeinschaft wurde ihr zum wiederkehrenden Motiv, eine Exotisierung des so enannten Anderen war aber nie ihr Ziel. Ebenso wenig wollte sie in ihrem Tun und in ihren Werken die Überlegenheit ehemaliger Kolonialmächte spüren lassen. Ihre Themen waren vielmehr Spannungsverhältnisse zwischen dem Einzelnen respektive der Einzelnen und einer Gruppe, auch zwischen der Wildnis und der Urbanität. Durch das Fließen der Farben ineinander ließ sie förmlich auch Welten ineinandergreifen.

Das Unbekannte als Lebensthema

Das „Andere“ war früh Thema für Baumgarte. Bereits während ihres Studiums in Zeiten der Nazi-Herrschaft beschäftigte sie sich im Verborgenen mit der Darstellung der Verfolgung und Deportation von Roma und Sinti sowie der jüdischen Bevölkerung. So war „diese empathische Hinwendung zu den Ausgegrenzten und Marginalisierten sowie der Versuch, den Wesenskern ihres Schmerzes mit künstlerischen Mitteln zu erfassen, zeitlebens eine enorme Triebkraft für ihre Arbeit“, führt Kuratorin Angela Stief aus. In ihrem gesamten Oeuvre hat sich Baumgarten also immer wieder mit Außenseitern der Gesellschaft beschäftigt, für sie gab es keine Person, die nicht der Darstellung würdig sei. „Es ging ihr aber nicht darum, in ihrer künstlerischen Arbeit politisch Partei zu ergreifen – sie war eher eine Beobachterin, eine sehr genaue Beobachterin“, so die Kuratorin, die auch Direktorin der Albertina modern ist.

Für Afrika interessierte sich Ruth Baumgarte zu einer Zeit, als dieser Kontinent für europäische Kunstschaffende noch weitgehend unbekannt war. Sie war fasziniert von den Bewohnern, geriet mit ihnen in Kontakt und nahm ihre Energie und ihre Lebensfreude auf. Vor allem die Verbundenheit der Menschen mit der Natur wurde für Baumgarte ein wichtiges Thema, die Verschmelzung von Figur und Landschaft sind für ihre Kunst zentral. Sie hatte ein großes Talent, auf Menschen zuzugehen und mit ihnen in Kontakt zu kommen, heißt es über die Malerin.
Bei diesen Beobachtungstouren, bei denen sie auch manchmal auf kleinen Zetteln, Servietten oder Zeitungen kritzelte, war sie durchaus auch mutig und übermütig. In einer Zeit, in der Frauen normalerweise nicht allein in Ägypten auf die Straße gingen, wurde sie gesehen, wie sie von ihrem Hotel aus in die Basare gehen wollte, um zu erkunden, was dort passierte, und um Leute zu zeichnen. Die Hotelbediensteten riefen ihr nach: „Um Gottes willen, Sie dürfen hier nicht allein herumlaufen, sonst verschwinden Sie!“ Doch Ruth Baumgarte ließ sich nicht abhalten – und versuchte, auf ihren 40 Reisen auf den afrikanischen Kontinent an den unterschiedlichsten Orten das Leben förmlich aufzusaugen, um es anschließend künstlerisch zu verarbeiten. Wochen und Monate blieb sie zur intensiven Recherche- und Reisetätigkeit – ein Indiz für ihre unstillbare Neugier nach dem Anderen. Oder wie der simbabwische Dichter Chirikure Chirikure es ausdrückte: „Die Länder Afrikas und seine Völker waren für sie keine Modelle, die es auf der Leinwand festzuhalten galt, sondern ein integraler Bestandteil ihrer Lebensreise.“

„Misunderstanding“: Farbenprächtig hat Ruth Baumgarte das Treiben auf den Basaren oder in den Städten ebenso wiedergegeben wie das Leben auf dem Land.
„Misunderstanding“: Farbenprächtig hat Ruth Baumgarte das Treiben auf den Basaren oder in den Städten ebenso wiedergegeben wie das Leben auf dem Land. Albertina

Ein Aufeinanderprallen von Farben

Auch in ihrer Art zu malen reflektierte Baumgarte ihre Erfahrungen: „Für mich ist interessant, dass sie die Spannungen und Konflikte, die sie dort wahrgenommen hat, in Dynamismen übersetzen konnte, die sich formal im Bild manifestieren“, beschreibt Stief. „Es erscheinen in ihren Bildern vielfach die Komplementärfarben Rot-Grün oder es prallen unterschiedliche Rottöne aufeinander, die eigentlich überhaupt nicht zueinanderpassen. Das sind alles spannungsgeladene Formationen, die eine unglaubliche Dynamik vermitteln. Es gibt auch Farbwirbel, die ein Bild mit kinetischer Energie aufladen.“

Durch ihre Afrika-Erfahrung war Ruth Baumgarte außerdem zur Ölmalerei zurückgekehrt, denn diese unglaubliche Strahlkraft der Farben wollte sich nicht immer ausschließlich in Aquarellen interpretieren. In der Albertina-Ausstellung, die in der Pfeilerhalle zu sehen ist, sind rund 40 Ölgemälde, Aquarelle und Grafiken zu sehen.

Dialog mit jungem Südafrikaner

Im Dialog mit Baumgartes Werken werden Arbeiten von Athi-Patra Ruga präsentiert. Er ist Preisträger der Ruth-Baumgarte-Stiftung und hat sich auch in seinem Werk intensiv mit jenem der deutschen Malerin auseinandergesetzt. Athi-Patra Ruga wurde 1984 in Südafrika geboren, Gemälde, Tapisserien und Glasarbeiten von ihm werden in die Schau zu Ruth Baumgarte eingeflochten, um einen künstlerischen Dialog zu erzeugen und Baumgartes Werk in der Gegenwart zu verankern. „Die Gegenüberstellung zeugt von der Aktualität ihrer Kunst“, so Kuratorin Angela Stief. „Die erstaunlichen Analogien der Arbeiten der beiden Kunstschaffenden attestieren ein kulturübergreifendes Verständnis und bilden eine Brücke über tiefe Gräben.“ Auf dass, wie es im Katalog heißt, das Oeuvre beider Künstler die Augen öffne „für die Menschlichkeit in allen, denen wir begegnen, und für eine Liebe zum Leben, die dafür sorgt, dass unsere Entscheidungen und Handlungen dem Wohl des Planeten dienen – und aller Lebewesen, mit denen wir uns die Erde teilen“.

Auf einen Blick

„Ruth Baumgarte. Africa: Visions of Light and Colour“
8. 12. 2022 bis 5. 3.2023,
tägl. 10–18 Uhr, Fr. 10–21 Uhr
www.albertina.at

Information

Diese Seite erscheint mit finanzieller Unterstützung der Albertina.


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