Gastkommentar

Bidens wachsendes Glaubwürdigkeitsproblem

(c) Peter Kufner
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Die Beliebtheit von Joe Biden hält sich in Grenzen. Nur wenige sind für eine zweite Amtszeit von ihm. Gründe dafür gibt es viele.

DER AUTOR

Michael J. Boskin
(*1945 in New York) studierte Wirtschaftswissenschaften in Berkeley. Derzeit ist er Professor für Ökonomie an der Universität Stanford und Senior Fellow der Hoover Institution. Von 1989 bis 1993 war er Chef des wirtschaftlichen Beraterstabs des damaligen amerikanischen Präsidenten George Bush senior.

So wie Quarterbacks oder Fußball-Torjäger bekommen auch Präsidenten tendenziell zu viel Anerkennung, wenn alles gut läuft oder sind an allem schuld, wenn Dinge schief gehen. Versuchen Präsidenten jedoch selbst, übertriebene Lorbeeren für angebliche Erfolge einzuheimsen oder vermeintliche Misserfolge herunterzuspielen, kann ihre Glaubwürdigkeit rasch darunter leiden (insbesondere, wenn die Medien dabei ihrer Vorliebe frönen, Dinge über Gebühr aufzubauschen). US-Präsident Joe Biden entwickelt sich zu einem typischen Beispiel.

Bei einer amerikanischen Präsidentschaft geht es nie nur um den Präsidenten. Ebenso bedeutsam sind die politischen Ernennungen in Regierungsbehörden und Verwaltungsabteilungen, vom Kabinett abwärts. In dieser Hinsicht hat sich Biden nicht mit Ruhm bekleckert. Verkehrsminister Pete Buttigieg, hat aufgrund unzureichender Reaktionen auf Lieferkettenprobleme, Betriebseinstellungen bei Fluglinien und die chemisch-toxischen Auswirkungen eines Zugunglücks in Ohio an Strahlkraft eingebüßt. In ähnlicher Weise hat Heimatschutzminister Alexander Mayorkas wiederholt behauptet, die Südgrenze der USA sei sicher, obwohl sie im vergangenen Jahr von Millionen Menschen illegal überquert wurde, während Kartelle weiterhin riesige Mengen an tödlichem Fentanyl über legale und illegale Einreisepunkte in das Land bringen.

Ähnlich problematisch präsentiert sich Bidens Ansatz im Bereich Gesetzgebung. Da in den meisten dieser Fragen der Kongress das letzte Wort hat (vorbehaltlich des Vetos des Präsidenten und der rechtlichen Überprüfung), sollte die Effektivität eines Präsidenten teilweise daran gemessen werden, wie gut es ihm (bisher waren es immer Männer) gelingt, parteiübergreifende Unterstützung für politische Maßnahmen zu gewinnen, die auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt bestehen. In der Praxis hat Biden genau das Gegenteil getan und weitreichende, wenig zielgerichtete Maßnahmen durchgesetzt, deren Nutzen in keinem Verhältnis zu den übermäßigen Kosten besteht. Bidens unnötiges 1,9 Billionen Dollar schweres Konjunkturpaket American Rescue Plan trug dazu bei, die Inflation auf den Höchststand der letzten vier Jahrzehnte zu treiben und von den Billionen an neuen Ausgaben, die er durch den Kongress peitschte, erhielt nur ein geringer Teil die Unterstützung der Republikaner.

Werden weitreichende politische Maßnahmen ohne Unterstützung der anderen Seite durchgesetzt, ist es viel wahrscheinlicher, dass diese wieder rückgängig gemacht werden, sobald die Oppositionspartei an die Macht kommt. Seit Präsident Ronald Reagans historischen Steuersenkungen und -reformen in den 1980er Jahren hat daher jeder nachfolgende Präsident in einem nicht enden wollenden Gezerre die Steuersätze entweder angehoben oder wieder gesenkt. Diese Art der Politikgestaltung führt zu wirtschaftlicher Unsicherheit und erschwert die langfristige Planung für Haushalte und Unternehmen erheblich.

Bidens fortgeschrittenes Alter und seine häufigen Aussetzer (wenn er nicht vom Teleprompter abliest) haben das Glaubwürdigkeitsproblem noch verschärft. Zahlreiche Beobachter, darunter auch viele Demokraten, fragen sich, ob er überhaupt eine zweite Amtszeit anstreben sollte (an deren Ende er 86 Jahre alt wäre). Laut einer aktuellen NBC-Umfrage hält nur etwa ein Drittel der Menschen in Amerika Biden für ehrlich und vertrauenswürdig oder und nur 28 Prozent sind der Meinung, er verfüge über die für das Amt „notwendige geistige und körperliche Gesundheit.“ Obwohl er im Hinblick auf seinen Umgang mit dem Ukraine-Krieg besser abschneidet, hat sich sein öffentliches Ansehen nach dem desaströsen Rückzug aus Afghanistan nie wieder erholt.

Lügen werden nicht verziehen

Oder man denke an Bidens Behauptung, das Haushaltsdefizit um rekordverdächtige 1,4 Billionen Dollar gesenkt zu haben. Tatsächlich geht aus den Daten hervor, dass die Verringerung des Defizits von 2021 auf 2022 ausschließlich auf das Auslaufen massiver, pandemiebedingter Ausgabenprogramme zurückzuführen ist. „Das Weiße Haus verdreht bewusst die Fakten”, warnte Maya MacGuineas vom Ausschuss für verantwortungsvolle Haushaltspolitik. Auch Dan White von Moody's Analytics kommt zu dem Schluss, dass „die Politik der Regierung das Defizit unter dem Strich vergrößert und nicht verringert hat.“

Und dann ist da noch Bidens Behauptung, es sei nicht seine Schuld, dass die Inflation so hoch ist wie seit 1981 nicht mehr. Als er kürzlich zu diesem Thema befragt wurde, antwortete er, die Inflation sei „schon dagewesen, als ich hier anfing, Mann. Wissen Sie noch, wie die Wirtschaft aussah, als ich hierher kam? Die Arbeitsplätze brachen massenhaft weg, die Inflation stieg.“ Das ist schlichtweg falsch. Als Biden das Amt übernahm, lag die jährliche Inflation bei 1,4 Prozent – auf einem Fünfjahres-Tief – und auf dem Arbeitsmarkt waren bereits 12,5 jener 22 Millionen Jobs wieder zurückgewonnen, die neun Monate zuvor aufgrund der staatlich angeordneten Lockdowns während Pandemie verloren gegangen waren.

Bidens Hoffnung ist Trump

Bidens größte Hoffnung für das Jahr 2024 – wenn die Republikaner voraussichtlich wieder die Kontrolle im Senat zurückerobern werden – besteht darin, dass die GOP erneut den früheren Präsidenten Donald Trump als Kandidaten nominiert. Und sein Wunsch könnte in Erfüllung gehen. Da es bei den Republikanern eine große Anzahl interessanter Kandidaten gibt, könnten wir eine Neuauflage von 2016 erleben. Floridas erfolgreicher Gouverneur Ron DeSantis ist der einzige Kandidat, dessen Beliebtheitswerte unter der republikanischen Wählerschaft an Trumps diesbezügliche Werte heranreichen.

Außerdem wird Biden in den nächsten zwei Jahren erneut mit Gegenwind konfrontiert sein. Eine neue Umfrage von ABC News/„Washington Post“ zeigt, dass ein historisch hoher Anteil von 41 Prozent der Menschen das Gefühl haben, dass es ihnen nicht so gut geht wie früher – und das trotz eines starken Arbeitsmarktes und einer Arbeitslosenquote von 3,4 Prozent. (...) Wenig überraschend auch, dass die in dieser Umfrage ausgewiesene Unzufriedenheit mit Bidens Leistung auf dem zweithöchsten Stand seiner Amtszeit liegt. Nur 7 Prozent der Befragten wären von einer zweiten Amtszeit Bidens begeistert, wohingegen 30 Prozent darüber verärgert wären (bei Trump liegen die entsprechenden Werte bei 17 bzw. 36 Prozent).

Bidens Chancen würden sich verbessern, wenn es der Federal Reserve gelänge, die Inflation bis Anfang 2024 einzudämmen. Wenig überraschend sind die Menschen in Amerika durchaus pessimistisch hinsichtlich der wirtschaftlichen, haushaltspolitischen und geopolitischen Zukunft. Wir brauchen dringend eine tatkräftige, ehrliche und einigende Führung, die uns durch eine potenziell gefährliche Phase der Weltgeschichte steuert. Wer wird das bieten?

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier. © Project Syndicate 1995–2023.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2023)

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