Replik auf J.-H. Tück

Da wendet sich der Geist mit Grausen

Müsste innerkirchliche Demokratie der Führung durch den Heiligen Geist entbehren?

Zur Person

Dr. Heribert Franz Köck ist emer. Universitätsprofessor. Er gibt mit Volksanwalt i. R. Herbert Kohlmaier die elektronische Reihe „Gedanken zu Glaube und Zeit“ heraus.

Der Wiener Dogmatikprofessor Jan-Heiner Tück reitet regelmäßig Angriffe gegen den deutschen Synodalen Weg. Er vertritt die Auffassung, die Verantwortlichen wollten demokratische Strukturen durchsetzen, die nicht mit der Verfasstheit der katholischen Kirche vereinbar wären. Unlängst hat er an dieser Stelle („Die Presse“, 28. 2. 2023) gemeint, durch solche Forderungen würden „weitere Risse im Gebälk“ der Kirche verursacht. Die Regensburger Kirchenrechtlerin Sabine Demel ist derartigen traditionalistischen Querschüssen schon in katholisch.de, dem Nachrichtenportal der katholischen Kirche in Deutschland, vom 16. 11. 2021 ausführlich entgegengetreten. Sie hat dargelegt, dass Fragen der Spiritualität und der Strukturen nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Eine Weigerung, die (unsichtbare) Spiritualität auch in den (sichtbaren) Strukturen zu verleiblichen, widerspreche der Lehre des Zweiten Vatikanums. Es schade der Glaubwürdigkeit, „von der Synodalität der Kirche zu sprechen [und] das Gemeinsam-Kirche-Sein und die Partizipation alle Glieder des Volkes Gottes zu verkünden, dann diese gemeinsame Verantwortung und Partizipation aber strukturell nicht erfahrbar machen zu wollen“.

Gegenteilige amtskirchliche Stimmen beruhen ebenso wie die Tück'sche Argumentation auf einer falschen Prämisse, nämlich: Die gegenwärtige – nicht demokratische – Verfassung der Kirche entspreche deren göttlichen Stiftung. Richtig ist vielmehr: Aus der göttlichen Stiftung der Kirche ergibt sich keineswegs, dass in ihr demokratische Entscheidungen ausgeschlossen wären. Das nicht zur Kenntnis zu nehmen entspringt entweder mangelnder Einsicht oder mangelndem guten Willen.


Bis ins 18. Jahrhundert hinein verlieh die Berufung auf das Gottesgnadentum Kirche und Staat eine gemeinsame Grundlage für eine entsprechende Ausgestaltung der Strukturen, die im monarchischen Absolutismus ihren Höhepunkt fand. Während dieser aber im staatlichen Bereich schon im 19. Jahrhundert von einer partizipativen (erst konstitutionellen, dann parlamentarischen) Regierungsform abgelöst wurde, sollte er im kirchlichen Bereich durch das Erste Vatikanum 1871 mit seinen Definitionen des Universalepiskopats und der Unfehlbarkeit des Papsts in Stein gemeißelt werden. Während sich die Päpste allmählich mit staatlicher Demokratie abfinden mussten, wurde diese für die Kirche weiter abgelehnt. Immerhin enthielt noch der Codex Iuris Canonici von 1917 das Prinzip, die höchste Gewalt in der Kirche liege beim Ökumenischen Konzil. Das blieb freilich ein untauglicher Versuch, eine Mitbestimmung zumindest der Bischöfe zu ermöglichen. Ein weiterer Versuch war die Verankerung der Kollegialität der Bischöfe beim Zweiten Vatikanum, der aber durch eine von Paul VI. vorangesetzte Nota explicativa praevia – das Bischofskollegium könne nur mit und unter dem Papst, niemals aber ohne diesen tätig werden – von vornherein jeder Zahn gezogen wurde.

Gleichheit aller durch Taufe

Das alles ist längst von der innerkirchlichen Diskussion überholt. Jetzt geht es nicht mehr allein um die Mitbestimmung der Bischöfe, sondern um die des gesamten Volkes Gottes. Dabei beruft man sich auf die grundsätzliche Gleichheit aller durch die gleiche Taufe und auf den Grundsatz, dass das, was alle betrifft, auch von allen entschieden werden soll. Dem entspricht eine vom Grundsatz der Gleichberechtigung getragene Demokratie. Die freie und gleiche Mitbestimmung ist Teil der Menschenrechte und gehört zu den Freiheitsrechten. Diese Menschenrechte wurden ursprünglich als Abwehrrechte gegen Übergriffe des Staats herausgearbeitet, müssen aber in allen menschlichen Gemeinschaften gelten, in denen die Freiheit des Einzelnen zu schützen ist. Das gilt auch für die Kirche, die sich aber gerade deswegen zuletzt wieder den Menschenrechten zu entfremden scheint. Zwar profitiert die Kirche immer noch indirekt von der Religionsfreiheit, steht aber zunehmend wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot unter Druck.
Die Demokratie hat sich in den höchstentwickelten Regionen dieser Erde, also in Europa und in den Staaten in Übersee mit europäischer Tradition sowie allen anderen Staaten, die deren Prinzipien übernommen haben, bewährt. Damit muss sie auch für die Kirche brauchbar sein und daher in dieser umgesetzt werden. Auch wenn sie dort – weil die Kirche kein Staat ist – nur mutatis mutandis anzuwenden ist, so weist Erstere doch keine so wesentlichen Unterschiede zum Staat auf, dass in ihr die Menschenrechte inklusive der demokratischen Mitbestimmung nicht umgesetzt werden könnten.

Der hinhaltende Widerstand, den die Amtskirche – auch mithilfe traditionalistischer Theologen wie Tück – der Einführung der Demokratie in der Kirche entgegensetzt, wird mit oft läppischen Argumenten (wie: Der Heilige Geist wirke nur über die Amtskirche) oder mit fundamentalistischem Biblizismus (wie: Petrus solle doch die Schafe, nicht aber die Schafe den Petrus weiden) verteidigt. Doch diese Argumentation ist unhaltbar. Denn die Menschenrechte einschließlich des Rechts auf demokratische Mitbestimmung sind im Naturrecht und damit im natürlichen göttlichen Recht verankert. Eine gegenteilige positive göttliche Anordnung verstieße gegen das natürliche göttliche Recht; ein solcher Widerspruch zwischen den beide Arten göttlichen Rechts kann Gott aber nicht zugesonnen werden.

Der Heilige Geist wirkt auch über demokratische Strukturen! Tücks die amtskirchlichen Prätentionen stützender Standpunkt ist unhaltbar. Daraus Konsequenzen für die kirchliche Praxis zu ziehen ist hoch an der Zeit.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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