Gastkommentar

Wie es zur Abhängigkeit von China kam

(c) Peter Kufner
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Wie mein Vater dazu beitrug, das China-Geschäft von VW zu befördern, und damit auch seinem Heimatland half, zur Wirtschaftsmacht aufzusteigen. Die Machtverhältnisse haben sich 45 Jahre später gehörig umgedreht.

Der Autor:

Felix Lee *1975, ist Autor und Journalist. Von 2003 bis 2022 arbeitete er als Wirtschafts- und Politikredakteur der „TAZ“. Ab 2010 war er neun Jahre China-Korrespondent in Peking, u. a. auch für die „Presse“.

Dieser Essay basiert auf dem soeben erschienenen Buch von Felix Lee:
„China, mein Vater und ich“
Ch. Links Verlag

Am 17. April 1978 ist Wenpo Lee Leiter der Forschungsabteilung bei Volkswagen in Wolfsburg. Mit China hat er abgeschlossen – bis eine chinesische Delegation vor dem Werkstor steht. Wenpo Lee wird in der Folgezeit zu einem der Architekten des China-Geschäfts von VW und trägt damit zum Aufstieg des Landes zur Wirtschaftsmacht bei. Längst ist China nicht mehr abhängig von Volkswagen, sondern Volkswagen abhängig von China.


Wenpo, kannst du noch deine Muttersprache?“, rief ein Mitarbeiter der Presseabteilung von Volkswagen am 17. April 1978 aufgeregt ins Telefon. Wenpo ist mein Vater und zu der Zeit Leiter einer Forschungsabteilung zur Entwicklung sparsamer Motoren bei VW in Wolfsburg.

Klimawandel und CO2-Ausstoß waren zwar noch kein Thema, aber die Ölpreiskrise von 1973 steckte vielen noch in den Knochen. Es gab auch schon die ersten Berichte über sauren Regen und Waldsterben. Und dass es mit den schädlichen Abgaswerten nicht ewig so weitergehen konnte, beschäftigte auch die Abteilung meines Vaters. Das aber war nicht der Grund des Anrufs an jenem Morgen.

Ob er kommen könne? Am Werkstor stünden ein paar Chinesen. Was sie wollen, wisse keiner. Einer von ihnen behaupte, er sei der chinesische Maschinenbauminister.

Natürlich konnte mein Vater noch Chinesisch. Allerdings bezweifelte er in dem Moment, dass ein chinesischer Minister vor dem Werkstor stand. Vermutlich waren die Herren eher aus Japan, vielleicht auch aus Südostasien. Schon oft war auch mein Vater für einen Japaner gehalten worden. Ein wenig neugierig, wen er antreffen würde, war er schon. Aber dass mit diesem Morgen deutsche und chinesische Wirtschaftsgeschichte geschrieben würde, ahnte er nicht.

Beginn einer Erfolgsgeschichte

Dieser unangekündigte Besuch des chinesischen Ministers im Frühjahr 1978 markiert den Beginn einer großen Erfolgsgeschichte von Europas heute größtem Autokonzern und der Volksrepublik China, die damals – nach den Wirren der Kulturrevolution unter Mao – eines der rückständigsten und ärmsten Länder der Welt war. Entsprechend skeptisch war der VW-Finanzvorstand damals und fragte: Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 156 US-Dollar im Jahr – wird sich ein Chinese jemals ein eigenes Autos leisten können?

Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich seit 1980 fast verhundertfacht. China ist heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Mit über 20 Millionen verkauften Fahrzeugen ist die Volksrepublik zudem der mit Abstand größte und wichtigste Automarkt. Und Volkswagen schaffte es, mehr als drei Jahrzehnte lang den Spitzenplatz in dem aufstrebenden Land zu belegen. Diesen Rang verliert VW nun erst im Zuge der E-Mobilität, bei der die chinesische Konkurrenz erstmals die Nase vorn hat. Die VW-Gesamtstatistik steckt dennoch voller Superlative. Aus den drei Werken, die mein Vater ab 1978 in China geholfen hat anzuschieben, sind inzwischen 34 Auto- und Komponentenwerke geworden. Jedes zweite Auto, das VW 2022 fertigte, wurde an Chinesen ausgeliefert. Und nicht nur VW machte ein Bombengeschäft.

Bombengeschäft mit China

Denn mit dem China-Geschäft der Wolfsburger kamen auch andere deutsche Firmen, Zulieferer wie Bosch, Continental, Schaeffler, Rheinmetall und BASF, dann auch Mercedes-Benz und BMW. Auch für sie ist China inzwischen der wichtigste Markt. Solang das deutsch-chinesische Verhältnis gut war, liefen die Geschäfte entsprechend. Das war bis vor wenigen Jahren auch der Fall. Von Helmut Kohl über Gerhard Schröder bis zu Angela Merkel – sie alle machten Peking regelmäßig ihre Aufwartung. Die Kanzlerin sogar zwölf Mal in ihrer 16-jährigen Amtszeit.

Die Frage der Abhängigkeit spielte so lang keine Rolle, solang China ein aufstrebendes, aber immer noch unterentwickeltes Land war und die ausländischen den chinesischen Unternehmen technologisch, finanziell und auch im Management überlegen waren. Und das war China viele Jahre auch: bescheiden, dankbar, zugleich lern- und wissbegierig. Und selbst als das Land technologisch aufgeholt hatte, lagen Merkel und die deutschen Unternehmer mit ihrer Hoffnung nicht ganz falsch, dass durch immer engere Geschäftsbeziehungen zwischen China und dem Westen auch politisch eine Liberalisierung stattfinden könnte: Wandel durch Handel. Entwicklungen in diese Richtung hatte es bis Anfang der 2010er-Jahre durchaus gegeben.

Xis China ist nicht neugierig

Doch seit Xi Jinping 2013 die Macht übernommen und die Kollektivführung nach und nach zu einer Alleindiktatur umgeformt hat, geraten auch die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen unter Druck. Unter Xi ist China nicht mehr das neugierige und wissbegierige Land, das westliche Unternehmer und Expertinnen mit offenen Armen empfängt, sondern aggressiv und herrschsüchtig. Es beansprucht für sich, nicht nur technologisch, sondern auch militärisch und geopolitisch zur Nummer eins aufzusteigen. Wer nicht spurt, soll den Zorn Pekings zu spüren bekommen.

Volkswagens Abhängigkeit von einem solchen autoritären Staat ist längst nicht nur ein Problem für die Manager in Wolfsburg, sondern eines für ganz Deutschland. Das sieht auch Kanzler Olaf Scholz so – zieht aber seine ganz eigenen Schlussfolgerungen. Er versucht offenbar, einen allzu konfrontativen Umgang in der neuen China-Strategie, die die Bundesregierung derzeit ausarbeitet, zu vermeiden. Die Grünen- und FDP-geführten Ministerien schrecken davor weniger zurück.

Auf welcher Seite stehen

Dabei liegt diese Entscheidung gar nicht bei der Bundesregierung. Sollte sich der Konflikt zwischen China und den USA bis hin zu offener Feindschaft zuspitzen, sei es im Umgang mit dem Kriegsaggressor Putin oder in der Taiwan-Frage, bei der Peking wiederum der Aggressor ist, werden auch deutsche Politiker und Unternehmer sich entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen. Entsprechend sind einige deutsche Unternehmer bereits dabei, ihre Geschäftsbeziehungen zum Reich der Mitte zu überdenken und Ersatz für China zu finden. Nicht aber VW.

Denn kein deutsches Unternehmen würde ein Bruch mit China schwerer treffen. Sollte die Feindschaft zwischen den Weltmächten sich weiter zuspitzen und Volkswagen den chinesischen Markt verlieren, wären die Wolfsburger auf einen Schlag nicht mehr wettbewerbsfähig. Es wäre das Ende von VW – und einer Ära, von der beide Seiten fast ein halbes Jahrhundert lang erheblich profitiert haben.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2023)

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