Fußball

Scudetto: Eine Stadt liegt im Fußballfieber

Tausende Tifosi feierten auf Neapels Straßen, es kam auch zu Ausschreitungen.
Tausende Tifosi feierten auf Neapels Straßen, es kam auch zu Ausschreitungen. APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI
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Serie A. Napoli stürmte zum ersten Meistertitel seit 1990. Kwarazchelia, Osimhen und Co. zogen mit Diego Maradona gleich, der SSC zuletzt vor 33 Jahren jubeln ließ. Ein Toter und Hunderte Schwerverletzte trübten die lange Partynacht.

Neapel. Darauf hat diese wunderbare und doch ewig in Müll und Kriminalität versinkende Stadt so lang gewartet. Es ist freilich kein Märchen für Italiens Calcio, auch keines für das in Nord und Reich bzw. Süd und Arm geteilte Land. Doch die Tifosi jubeln, sie applaudieren und freuen sich in gewisser Weise mit SSC Napoli, das zum ersten Mal seit 1990 wieder italienischer Fußballmeister geworden ist. Ein mickriges 1:1 in Udine, live übertragen im Maradona-Stadion, genügte, um fünf Runde vor Ende der Serie A bereits als Gewinner des Scudetto festzustehen.

Als Toptorjäger Victor Osimhen das erlösende 1:1 erzielte, verschmolzen Vergangenheit, Verklärung, Gegenwart und Zukunft von SSC: Es ist der erste Titel seit Diego Maradona, die dritte Meisterschaft insgesamt, und sie wurde im nach ihm benannten Stadion von 60.000 Zuschauern (das Live-Stream-Event war damit ausverkauft) euphorisch zelebriert. Für den Nigerianer Osimhen, 24, öffnete sich damit die Tür in eine ganz andere Sphäre. Er dürfte Torschützenkönig der Serie A (aktuell Führender mit 22 Treffern) werden und mit Saisonende wie viele andere Talente und Stars aus Neapel weiterziehen. Wie immer. Diesmal aber gehen sie als Champions, und das wird dem Klub wenigstens höhere Ablösen in die Kassa spülen.

Großes Spiel der Außenseiter

Die Mannschaft von Trainer Luciano Spalletti sorgt seit Monaten für zusätzliche Aufregung am Fuße des Vesuvs. 25 Siege aus 33 Runden wiederbelebten eine lang vergessene Stimmung. Man huldigte den Georgier Chwitscha Kwarazchelia für unglaubliche Dribblings als „Kvaradona“, Tore von Osimhen begeisterten ebenso wie die kollektive Unbekümmertheit der Mannschaft, die den vor Ort „verhassten“ Klubs aus Mailand und Rom die Schneid abgekauft hatten. Mit Außenseitern feiert jeder im Sport, auch in Italien – dass ganz große Stars in dieser SSC-Auswahl fehlen, hat letzten Endes überhaupt keine Rolle gespielt.

Wo echte Freude und Fanatismus kollidieren, ist aber Unheil nicht fern. In der Partynacht wurde in Neapel ein Mann erschossen. Der Tod eines 26-Jährigen holte alle schnell wieder ein, der Alltag mit Müll und Mafia endet nicht nach Abpfiff, da beginnt er immer wieder. Insgesamt seien laut der Nachrichtenagentur Ansa mehr als 200Neapolitaner in die Notaufnahmen gekommen. Die „Gazzetta“ berichtete gar von Hunderten Schwerverletzten. Es sollen zumeist Verbrennungen (Pyrotechnik) höchsten Grades sein.

Hunderttausende feierten den Scudetto auf den Straßen. An der Piazza Volturno, nahe dem Hauptbahnhof, fielen Schüsse. Drei weitere Personen kamen mit Schussverletzungen ins Spital, als der Tod des Mannes bekannt wurde, stürmten Angehörige und Freunde in die Klinik und verwüsteten Teile der Notaufnahme.

In Udine waren SSC-Fans auf das Feld gestürmt. Den Gastgeber-Ultras missfiel diese Feier – sie machten Jagd und gingen mit Gürteln und Stöcken aufeinander los. Perché? È solo calcio. (fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2023)

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