Drei Zeugen widersprechen dem linguistischem Gutachter. Demnach wurden Bekennerschreiben bzw. Leserbriefe von anderen Autoren verfasst. Richtervereinigung bedauert ihr Vorgehen gegen unbequeme Prozesskritikerin.
Wien/Wiener neustadt. Die im Landesgericht Wiener Neustadt laufende Verhandlung gegen 13 Tierschützer wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation sorgte auch am 73.Tag für Aufregung: Die Expertise des gerichtlich bestellten linguistischen Gutachters Wolfgang Schweiger geriet erneut ins Wanken. Laut Zeugen wurden Bekennerschreiben bzw. Leserbriefe, die gemäß Gutachten dem Hauptangeklagten Martin Balluch (46) zuzuordnen sind, von anderen Autoren verfasst.
So kommt etwa ein Bekennerschreiben zu einem Anschlag auf den Zirkus Knie (Jahr 2000), das im „Tatblatt“ abgedruckt war, laut Gutachten von Balluch. Zwei Zeugen aus der Redaktion des Blattes geben aber an, der strittige Text sei zu einem Teil von der Redaktion verfasst worden. Und zu einem anderen Teil handle es sich um eine Erklärung zu dem Anschlag, die anonym in die Redaktion eingegangen sei. Soweit man wisse, seien auch sonst nie Beiträge von Balluch in der Zeitung erschienen, da dieser damals als Persona non grata gegolten habe.
Für Rätselraten sorgte der Umstand, dass unterschiedliche Versionen des inkriminierten Textes kursieren. So entspricht die vom Gutachter analysierte Version weder der Print- noch der Online-Version des „Tatblattes“. Balluch-Verteidiger Stefan Traxler ein wenig ratlos: „Das ist mir alles völlig neu.“ Schließlich beantragte Traxler die Enthebung des Gutachters. Dieser wird übrigens in einem von Balluch am Rande des Prozesses präsentierten Schriftstück der Verteidigung wenig schmeichelhaft als „Hochstapler“ bezeichnet.
Auch ein im Jänner 2000 in der Online-Ausgabe der „Presse“ erschienenes Posting wird vom Gutachter Balluch zugeordnet. Im Zeugenstand bestätigte nun aber Forschungsassistent Erwin Lengauer von der Uni Wien: „Ganz sicher ist der Brief von mir.“ Heute, Donnerstag, wird der Prozess fortgesetzt.
Richter gestehen „Fehler“ zu
Indessen war der Prozess auch Thema bei der Eröffnung des von der Richtervereinigung organisierten Strafrechtsseminars im niederösterreichischen Ottenstein. Wie berichtet hatte die Vereinigung den Staatsanwalt eingeschaltet, nachdem die Linzer Strafrechtsprofessorin Petra Velten (als eine von vielen) massive Kritik an der Verhandlungsführung vorgebracht hatte. Die Anklagebehörde hatte, wie erwartet, keinerlei Grund gesehen, gegen die Wissenschaftlerin vorzugehen. Die Befassung des Staatsanwalts mit der Materie nannte der Vizepräsident der Richtervereinigung, Gerhard Reissner, am Mittwoch einen „Fehler“.
Mittlerweile hat es sogar bei Bundespräsident Heinz Fischer eine Aussprache zwischen Velten und dem Präsidenten der Richtervereinigung, Werner Zinkl, gegeben. Dabei wurde Übereinstimmung erzielt, dass die vielfach (auch von den Angeklagten im Tierschützerprozess) kritisierten Bestimmungen zur terroristischen Vereinigung und zur kriminellen Organisation „nochmals kritisch evaluiert werden sollten“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2011)