Zehntausende Gastarbeiter fliehen aus Libyen

(c) EPA (MOHAMED MESSARA)
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Sie kamen aus Ägypten, Tunesien und Südostasien. Bis zu drei Millionen Arbeiter hielten die libysche Wirtschaft am Laufen, als die Revolte gegen Langzeitdiktator Muammar Gaddafi ausbrach. Jetzt flüchten sie.

200 Quadratmeter große Wohnungen in Häusern aus Naturstein, dazu ein Bürogebäude über 24 Stockwerke – so sollte der neue Stadtteil am Rande der libyschen Hauptstadt Tripolis aussehen. Eine Großbaustelle wie viele im Land – und die Arbeitsstätte von hunderttausenden Bauarbeitern aus Ägypten, Tunesien, der Türkei, China, den Philippinen, aus Indien, Bangladesch oder Thailand.

Bis zu drei Millionen Gastarbeiter aus aller Welt sollen sich in Libyen befunden haben, als die Revolte gegen Langzeitdiktator Gaddafi ausbrach. Viele haben das das Sechs-Millionen-Einwohner-Land bereits verlassen, sie wurden von ihren Regierungen evakuiert und nach Hause geflogen. Zehntausende haben sich auf eigene Faust durchgeschlagen und mit ihren Arbeitsgeräten wie Schaufeln und Äxten auf den Schultern die Grenzen nach Tunesien oder Ägypten passiert. Doch rund 100.000 Asiaten hängen noch immer in Libyen fest.

Kurzzeitverträge bei libyschen Firmen

Die meisten waren im Baugeschäft tätig: In Libyen boomte der Bausektor, internationale Firmen – darunter auch die österreichischen Konzerne Strabag und Porr – sicherten sich Großaufträge. Sozialwohnungen und Krankenhäuser wurden hochgezogen, Autobahnen gebaut und die Eisenbahnstrecke, die Libyen von der tunesischen bis zur ägyptischen Grenze durchqueren sollte. Als das Land in Petro-Dollars schwamm, heuerten willige Arbeiter nicht nur aus den umliegenden Ländern in Libyen an, sondern auch aus Südostasien. Den Zuschlag, das libysche Bahnnetz auszubauen, erhielten vor zwei Jahren russische und chinesische Firmen, im Schlepptau kamen die Arbeiter aus diesen Ländern. Weiters dick im Geschäft sind türkische Firmen, die derzeit an 214 Großbaustellen werken – wie etwa am Bau eines Kanals für Süßwasser zwischen Küste und Sahara. Für dieses visionäre Projekt bekam Gaddafi übrigens in Österreich einen Umweltpreis.

„Die Arbeiter unterschreiben meist bei lokalen Baufirmen Verträge über ein bis zwei Jahre. Laufen diese aus, gehen sie zurück in ihre Heimat“, sagt Jean Philippe Chauzy von der Internationalen Organisation für Migration in Genf (IOM) im Gespräch mit der „Presse“. Den Großteil ihres Gehaltes schicken sie an ihre Familien zu Hause – das brachte Gaddafis Regierung Mitte der 80er-Jahre dazu, die Verordnung zu erlassen, dass mindestens 50 Prozent der Gehälter in Libyen verbleiben müsse. Neben den Bauprojekten kamen Ausländer vor allem in der Ölindustrie unter. Der Großteil der ausländischen Arbeiter in Libyen stammt aus Ägypten: Rund 1,5 Millionen sollen sich im Nachbarland aufgehalten haben, andere Quellen sprechen von höchstens einer Million. Während die reichen Libyer ihre Kinder zum Studieren in den Nil-Staat schickten, stellten die Ägypter das Heer der Arbeiter. Expressbusse wie etwa die Verbindung zwischen Kairo und der libyschen Grenzstadt Sallum sorgten für den Nachschub an Arbeitskräften. Die meisten kommen aus dem armen Süden des Nilstaats, wo es kaum Jobs gibt und die Armut groß ist.

Was geschieht mit dem Heer der Illegalen?

„So richtig prekär ist die Situation aber für die illegalen Arbeiter“, sagt Migrationsexperte Chauzy. „Sie kommen aus Mali, Niger, Tschad, der Elfenbeinküste. Sie erledigen in Libyen so ziemlich alle Arbeiten, die sonst keiner macht.“ Sie sind am „Arbeiterstrich“ in Tripolis zu finden, kümmern sich aber auch in der Hauptstadt um reiche Haushalte. „Sie sind bei keiner Botschaft registriert und haben keine Papiere.“ Zusätzlich zu den Arbeitern mit Verträgen dürften rund 1,5 Millionen Illegale in Libyen arbeiten. Gestern, Freitag, schafften es 400 Männer aus Niger per Lastwagen die Grenze in ihre Heimat zu passieren. Das Schicksal jener, die im Land festsitzen, ist unklar.

„Wir Europäer dürfen nun nicht glauben, dass all diese jetzt nach Europa wollen. Rund zehn Prozent werden es versuchen. Der Rest will einfach nur nach Hause“, sagt Chauzy.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2011)

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