Die Volkspartei laboriert an einer politischen Thrombose

Josef Pröll ist das kleinste Problem, das die ÖVP derzeit hat. Im Gegenteil: Die Idee, ihn zu ersetzen, ist Teil der latenten Suizidneigung der schwarzen Hirschzähne.

Aus welcher Giftküche die Gerüchte stammen, dass Josef Pröll nach der Erholung von seinem Lungeninfarkt gar nicht mehr in die politische Arena zurückkehren könnte, wird man nie erfahren. Am wahrscheinlichsten ist, dass sowohl das Bundeskanzleramt als auch die ÖVP-Zentrale als Quellen zu betrachten sind.

Werner Faymann hat ein Motiv: Er weiß, dass er es mit jedem anderen ÖVP-Obmann viel leichter hätte als mit Pröll. Michael Spindelegger zum Beispiel wäre sehr nach seinem Geschmack. Die beiden verfügen über ein ähnliches Politikverständnis, das von Fehlervermeidung geprägt ist und von dem Wunsch, die Welt sei Wien oder die Hinterbrühl. Spindelegger hat das Charisma eines Aktenschranks und wäre damit als koalitionärer Juniorpartner die Idealbesetzung: treu und ungefährlich.

Die sogenannten ÖVP-„Grandln“ haben kein Motiv, aber das haben die Hirschzähne der Volkspartei nie gebraucht, wenn sie die Obmannmordlust gepackt hat. Die Kriminalpsychologie nennt das Phänomen „erweiterten Selbstmord“: Man bringt zuerst die anderen um und dann sich selbst. Die chronische Suizidneigung der ÖVP-Führungsleute ist erblich und liegt in der organisatorischen DNA der Partei, die die föderale Lebenslüge dieses Zwergenstaates besonders genau abbildet. Wichtig ist, dass die Landesfürsten und Vizekönige aus den Mitteln des Finanzausgleichs ihre Operettenfestspiele finanzieren können. Wer unter ihnen als Bundesobmann scheitert, ist ihnen eher egal. Und weil ein idiotisches Prinzip für das Scheitern einer Organisation möglicherweise nicht ausreichend ist, hat man ein zweites einbetoniert: das der Bünde.

Die Idee, dass sich mit Josef Prölls Rückzug von der Parteispitze die Lage der ÖVP verbessern könnte, ist ziemlich absurd. Jeder weiß, dass genau das Gegenteil der Fall wäre. Es gibt zum Vizekanzler und Finanzminister in der Volkspartei nicht einmal den Hauch einer Alternative. Das bedeutet nicht, dass Pröll keine Fehler gemacht hätte. Im Gegenteil: Sein großer Fehler war und ist, dass er, um im kriminalpsycholgischen Jargon zu bleiben, nicht bereit ist, unter den erweiterten Selbstmördern der Parteispitze ein Massaker anzurichten. Pröll muss den Scherzbolden, die jetzt aus ihren Provinzhecken und Bündebunkern herauskrabbeln, um den rekonvaleszenten Parteichef mit einem Kranz von guten Ratschlägen zu erdrosseln, zuvorkommen.

Das war und ist die größte Schwäche der politischen Naturbegabung Josef Pröll: ein Mangel an Härte und Konsequenz. Seit er die Partei übernommen hat, erweckt er in jeder Krisensituation den Eindruck, dass es sich nur um einen vorübergehenden Zustand handle, der schon bald mit einer besonders spektakulären Volte beendet und gewendet würde. Die kam nur nie, denn sie hätte immer ein gewisses Maß an Härte und Konfliktbereitschaft erfordert. Pröll hat sich viel zu früh und viel zu bereitwillig der Tatsache ergeben, dass der Bundesobmann der Österreichischen Volkspartei ein König ohne Land ist.


Die falschen Personalentscheidungen, die er getroffen hat, haben unmittelbar mit der Lebenslüge der ÖVP zu tun: Ernst Strasser betrat die politische Bühne, für die er immer schon zu klein war, durch den unterirdischen Souffleurkasten namens Niederösterreich. Familienstaatssekretärin Verena Remler kann als einzige Qualifikation für ihr Amt die Tatsache anführen, dass sie Mitglied des Tiroler Arbeiter- und Angestelltenbundes ist.

Josef Pröll ist unter den derzeit in Österreich agierenden Politikern so etwas wie der Einäugige unter Blinden und jedenfalls das kleinste Problem, das die ÖVP hat. Unglücklicherweise ist er der Vorsitzende einer Partei, deren seit Jahrzehnten nicht mehr zeitgemäße Struktur sich inzwischen zur akuten Lebensgefahr weiterentwickelt hat. Diese Struktur ist so etwas wie eine politische Thrombose. Der Pfropfen gestockter politischer Energie ist dabei, beide Lungenflügel der Volkspartei, den föderalen und den bündischen, lahmzulegen.

Gott sei Dank wurde Josef Pröll nach seiner Lungenembolie rechtzeitig behandelt. Es wäre schade um ihn gewesen. Von der ÖVP kann man das nicht behaupten.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Karas: "Keine Obmann-Debatte in der ÖVP"
Politik

Karas: "Keine Obmann-Debatte in der ÖVP"

Der designierte Delegationsleiter der VP-Abgeordneten im EU-Parlament, Othmar Karas, sieht keinen Grund für die Ablöse Josef Prölls als Parteichef. "Wir freuen uns, wenn Josef Pröll gesund zurückkommt", sagt Karas.
Innenpolitik

ÖVP im Junior-Dilemma

Personalprobleme und mehrere Korruptionsskandale quälen die ÖVP und ihren erkrankten Parteichef. Auch Josef Pröll schaffte es bisher nicht, die Dominanz der Bünde und der Bundesländer zu brechen.
Innenpolitik

Schwarze Familienaufstellung – die Pröll-Partei

ÖVP.Trotz aktueller Kritik ist Josef Pröll als Chef unumstritten wie kaum einer seiner Vorgänger. Ein Einblick in das Beziehungsgeflecht der Volkspartei.
Innenpolitik

ÖVP: "Zu wenig Samurais, zu viele Söldner"

Die Affäre Strasser sei peinlich, das Motiv dahinter Gier, sagt Siegfried Nagl. Er kritisiert die Personalauswahl im Parlament und wünscht sich einen ÖVP-Vorschlag für die Bundesheer-Reform.
Innenpolitik

Schüssels umstrittenes Mandat

Energie. Wolfgang Schüssel sitzt im Aufsichtsrat des Atomkonzerns RWE. Als ÖVP-Abgeordneter trägt er den Antiatomkurs der Partei mit.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.