Experte: „Christine Marek ist eine farblose Marke“

(c) Teresa Zötl
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Markenstratege und Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierungen Michael Brandtner hält im Interview mit der "Presse" den Reformprozess der Wiener Volkspartei schon jetzt für gescheitert.

Die Presse: Die ÖVP sucht sich selbst – in Wien und im Bund. Wie beurteilen Sie als Markenstratege den Prozess?

Michael Brandtner: Der große Fehler ist, dass man die Frage, wie sich eine Partei ausrichten soll, statisch sieht. Es wird gefragt: Wofür sollte die Partei jetzt stehen? Und nicht: Wofür stehen wir in der Zukunft und zwar nicht als Partei, sondern als Wien, als Österreich.

Aber – Entschuldigung – das ist doch platt. Außerdem machen die Parteien das ohnehin. Der Diskussionsprozess „Agenda Wien+“ der Wiener ÖVP stellt genau die Frage: Wie soll Wien 2030 aussehen?

Aber das ist doch nicht spannend. Da wird eher eine Liste von Banalitäten erstellt. Wir kennen das von Unternehmen, die Leitbilder definieren. Am Ende steht drinnen: Der Kunde ist uns wichtig, die Umwelt ist uns wichtig etc. Besser wäre ein einfacher Leitsatz, den man quasi immer bei sich trägt.

Ein Claim wie in der Werbung?

Slogan bedeutet ja Schlachtruf. Ein Slogan sollte eine Richtschnur nach innen sein, etwas, was Fragen beantwortet wie: Passt das zu uns oder nicht? Ein Beispiel: Wenn Opel sagt: „Wir leben Autos“, hat das für Mitarbeiter keine Bedeutung. Denn wie soll ein „Wir leben Autos“-Auto aussehen? BMW dagegen macht es seinen Mitarbeitern mit „Freude am Fahren“ leichter.

Was wäre ein guter Slogan einer hiesigen Partei?

Fällt mir keiner ein. Zu einem guten Slogan gibt es ein positives Gegenteil, eine Alternative. Das Gegenteil von Obamas „Change“ ist, dass man den Kurs beibehält. Hingegen: Was soll etwa das positive Gegenteil von „Weil der Mensch zählt“ (SPÖ-Spruch in der Nationalratswahl 2002, Anm.) sein? Nur das Tier zählt? Aber Parteien und Unternehmen wollen keinen ausgrenzen und flüchten daher in nichtssagende Claims. Die Folge: Das Angebot wird ähnlicher.

Eine Strategie bei der Suche nach der Identität ist, Wähler und Parteibasis zu fragen. Die Wiener ÖVP-Chefin Christine Marek meinte in einem Interview, sie wisse nicht, was „bürgerlich-urban“ sei, darüber müsse man erst ein Jahr diskutieren. Ist das ein guter Weg oder der Beginn des Elends?

Letzteres. Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Leitbild zu entwickeln. Erstens: in einem demokratischen Prozess. Aber wenn man von unten nach oben entwickelt, bleibt oben nichts übrig. Aus meiner Warte kann daher nur jemand an der Spitze ein Leitbild vorgeben.

Sie halten den Agenda-Prozess für aussichtslos?

Man überschätzt die Leute: Die Menschen selbst haben keine Ideen. Sie wissen nicht, was sie wollen. Wenn jemand seine Partnerin fragt: „Was hättest du gern zum Essen?“, ist die Antwort: „Was gibt's im Kühlschrank?“ Man will nicht denken, man will auswählen.

Die Wiener ÖVP versucht es dennoch. Nach dem Law-and-Order-Wahlkampf inszeniert man sich als „Bürgerbewegung“. Passt das zur Parteimarke ?

Ich würde ihr die Bürgerbewegung nicht abnehmen. Sie ist eine alte, etablierte Partei, das ist, wie wenn ein Fünfzigjähriger in der Midlife-Crisis sich wie ein Zwanzigjähriger aufführt. Was anderes wäre, wenn sich aus der ÖVP eine Teilgruppe abspaltete, wie damals in Innsbruck unter Herwig van Staa, wobei man das der Wiener ÖVP nicht empfehlen kann.

Wenn Sie Christine Marek als Marke sehen: Was wäre sie für eine?

Eine farblose.

Es gibt Gerüchte, der 24-jährige Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz könnte Marek ablösen. Würde er überhaupt zur „alten“ Partei passen?

Das kommt darauf an, wie er sich entwickelt.

Die ÖVP hat ein Problem in den Städten. Sollte man eine „Stadtmarke“ der ÖVP aufbauen?

Nein, wenn sich die ÖVP als Marke neu ausrichten will, geht das nur auf Bundesebene, am besten mit einer einzigen markanten Idee. Ein Ansatz könnte hier sein, dass man der ÖVP mehr als anderen eine Reform zutraut. Wenn das funktioniert, strahlt das auf Wien ab und poliert auch die anderen VP-Werte wie das Christlich-Soziale auf.

Zur Person

Michael Brandtner ist Markenstratege, Autor und Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierung.

Die Wiener ÖVP startete vergangene Woche ihre Reform „Agenda Wien+“. Der einjährige Diskussionsprozess soll die Parteibasis und interessierte Bürger einbinden und animieren, ihre Ideen einzubringen. Motto ist: Wien 2030. Geleitet wird der Prozess von externen Experten in fünf Arbeitskreisen (u. a. Stadtleben, Stadtentwicklung).

Die Agenda ist eine Reaktion auf das Wahldebakel (historisches Tief bei 14 %) im vergangenen Herbst. Der Auftakt fiel mit dem spektakulären Rücktritt Josef Prölls im Bund zusammen. [Beigestellt]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2011)

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