Offener Diskurs

Es gibt hierzulande so viele Methoden, einen Konflikt zu vermeiden. Wie wär's zur Abwechslung mit einem offenen Diskurs?

Ich hatte mal einen Chef, der hatte ein Problem mit mir. Dass ich ihm auf der Leber lag, merkte ich an beiläufigen Bemerkungen, und da er stets vor Publikum oder zwischen Tür und Angel stichelte, hatte ich kaum je die Chance, dazu Stellung zu nehmen. Schließlich bat ich um ein Vier-Augen-Gespräch. Ich bekam einen förmlichen Termin, und so hatte ich endlich Gelegenheit zu fragen: „Wo liegt das Problem?“ Ich werde nie den Ausdruck vergessen, den diese Frage im Gesicht meines Chefs anrichtete. Es war, als hätte ich ihm vorgeschlagen, zur Verbesserung des Arbeitsklimas gemeinsam mit den Gattinnen eine Runde durch die Wiener Swingerklubs zu drehen. Als er sich gefasst hatte, sagte er: „Kein Problem, kein Problem!“ – und komplimentierte mich aus dem Zimmer.

Uns Deutschen mag es ja bisweilen an Diplomatie mangeln, doch wo das ungeöffnete Visier zur Methode wird, da gibt's auch keine Konfliktkultur.


Seit gut einem halben Jahrzehnt wird hierzulande versucht, ein Haus der Geschichte auf die Beine zu stellen, ein Nationalmuseum zur Zeitgeschichte, wie es andere Länder auch haben. Eine Expertenkommission hat vor zwei Jahren nach heftigem internen Zwist ein Konzept vorgelegt, doch die Regierung veröffentlicht es nicht, offenbar fürchtet sie eine Kontroverse. Historiker fordern eine Diskussion über die Frage, wie ein solches Haus aussehen sollte. Zu Recht. Nur: Warum führen sie sie nicht? Und wo bleiben die Publizisten, Politiker und Schriftsteller in dieser Sache? Dabei könnte eine solche Debatte eine längst überfällige Verständigung über die Fundamente dieser Republik sein – ein Identitätsdiskurs abseits der üblichen wehleidigen Lamenti. Es wäre zugleich eine Chance, die neuralgischen Punkte österreichischer Zeitgeschichte, etwa die Jahre des Ständestaats, einmal unabhängig von Parteiinteressen zu diskutieren.

Unlängst schien sich in der „Presse“ auf einem nicht weniger brisanten Feld eine viel versprechende Debatte zu entspinnen, als der Kulturphilosoph Wolfgang Müller-Funk im „Spectrum“ vom 2. April mit scharfer Klinge auf einen Beitrag von Rudolf Burger antwortete. Es ging um die Frage, ob der Liberalismus noch eine Rolle in der Gesellschaft spiele. Endlich eine Debatte! Und was geschah dann? In der Woche darauf meldete sich der Schriftsteller Michael Scharang zu Wort und bezeichnete Müller-Funk als einen „intellektuellen Schlägertypen“ des „demokratischen Faschismus“ und dessen Artikel als „Gestammel eines Bildungsspießers“. Und sonst? Nicht ein einziges Argument gegen Müller-Funks Thesen. Wozu ein Diskurs, wenn's auch eine Diffamierung tut? Die Debatte war damit natürlich beendet, worauf hätte man auch antworten sollen?

Übrigens: Habe ich erwähnt, dass Müller-Funk Deutscher ist?

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2011)

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