Der ORF ist keine Zauberinsel, auf der sich Qualität auf Buh- oder Zuruf einstellt. Plädoyer für einen „Rundfunk der Gesellschaft“.
Dem ORF stehen – wieder einmal – turbulente Zeiten bevor. Die Gerüchteküche ist angerichtet, die Spekulation um Personen und Posten kann beginnen. Mit Blick auf die medienpolitische Kultur vergleichbarer Länder könnte es freilich auch anders sein: Statt aufgeregter Inszenierung könnte man schlicht eine Qualitätsdebatte führen.
Hilfreich wäre es, bei den Fakten zu beginnen. Wer ohne Tunnelblick parteipolitischer Gegengeschäfte und konkurrierender Geschäftsmodelle die Leistungen des ORF mit jenen der kommerziellen Medien vergleicht, kann sich überzeugen:
• Der ORF ist in TV, Radio und Online auch 2011 unangefochtener Marktführer. Ob Weltwirtschaftskrise, Umweltkatastrophe, Regional- oder Innenpolitik: Die Österreicher/innen vertrauen in hohem Ausmaß der Informationskompetenz des ORF.
• Der ORF erhöht seine Investition in die heimische Kreativ- und Filmwirtschaft auf 95 Millionen Euro pro Jahr.
• Trotz gravierender Sparmaßnahmen erweitert der ORF Umfang und Kompetenz seiner Auslandsberichterstattung durch ein neues Büro in Istanbul.
• Mit der TVthek wurde ein erfolgreiches On-demand-Angebot etabliert.
• Durch den neuen Verhaltenskodex für ORF-Journalist/innen wird die Unabhängigkeit der Berichterstattung durch richtungsweisende Selbstverpflichtung und Kontrolle durch einen Ethikrat gewährleistet.
• Integrationspreis, Klimaschutzpreis, Themenschwerpunkte, Team Österreich u.v.m. stellen die soziale Verantwortung der ORF-Aktivitäten unter Beweis.
• Das alles mit Quoten und Marktanteilen, von denen BBC und andere europäische Sendeanstalten nur träumen können.
Keine so schlechte Bilanz. Aber schon der zweite Blick offenbart, dass der ORF keinen Grund hat, in Selbstzufriedenheit zu verfallen. Das zu Recht geforderte klare öffentlich-rechtliche Profil braucht erkennbare Innovation, wahrnehmbare Investition und vor allem klare Zielvorgaben. Der ORF ist keine Wunscherfüllungsmaschine für Begehrlichkeiten aller Art, sondern ein professionelles Unternehmen zur Herstellung bestmöglicher gemeinwohlorientierter Medienprodukte. Keine Zauberinsel, auf der sich Qualität auf Buh- oder Zuruf einstellt.
Strukturen für Qualität schaffen
Vielleicht helfen ja die richtigen Fragen: Wie schaffen wir es (durchaus in Qualitätsallianzen mit den Zeitungen und den Kreativen des Landes), dass sich originär österreichische Medienproduktion angesichts der überwältigenden Konkurrenz ausländischer Medienkonzerne durchsetzen kann?
Wie verhindern wir den Zusammenbruch von Strukturen, die für Qualitätsjournalismus unabdingbar sind? Wie ermöglichen wir, dass eine junge Generation von Journalist/innen Innovation und kreativen Geist erarbeiten kann?
Wenn die zahlreichen ORF-Debatten der Zivilgesellschaft eine zukunftsorientierte Perspektive für die österreichische Medienpolitik ergeben, dann wohl, dass ein leistungsstarker, demokratiepolitisch verantwortungsbewusster und unabhängiger „Rundfunk der Gesellschaft“ als Kontrapunkt zur umfassenden Kommerzialisierung unserer Lebens- und Medienwelten notwendiger ist denn je.
Die Zukunft der digitalen Medienwelt muss mit der Überzeugung entschieden werden, dass Fachwissen vor Parteipolitik, Gemeinwohl vor Rendite, Medienqualität vor Inszenierung geht.
Klaus Unterberger ist Leiter des ORF-Public-Value-Kompetenzzentrums, verantwortet u. a. den eben erschienenen aktuellen Public-Value-Bericht, der die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags durch den ORF dokumentiert.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2011)