EU-Gipfeltreffen: Europas Regierungschefs versuchen erneut, die Märkte zum drohenden Bankrott Griechenlands zu beruhigen. Wieder drücken sie sich vor den entscheidenden Fragen.
Brüssel. „Sie können mir diese Frage gerne noch fünfmal stellen: Ich werde sie Ihnen nicht beantworten." Die entnervte Reaktion eines Regierungsberaters auf die Journalistenfrage nach der Beteiligung privater Gläubiger am unvermeidlichen zweiten Hilfspaket für Griechenland bringt die Stimmung unter Europas Entscheidungsträgern auf den Punkt: Schweigen ist Gold, Vernebeln Pflicht.
Und so sah die Erklärung von Europas Spitzen zu Griechenland, die der „Presse" bereits im Lauf der Tagung vorlag, so wortgewaltig wie inhaltlich dürftig aus: „Ein umfassendes Reformpaket, das mit der Kommission, in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds vereinbart worden ist, und die Annahme der Schlüsselgesetze über die fiskalpolitische Strategie und Privatisierung durch das griechische Parlament müssen als Frage der Dringlichkeit in den nächsten Tagen finalisiert werden", heißt es da. „Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone stimmen überein, dass zusätzliche Mittel sowohl durch öffentliche als auch private Quellen finanziert werden."
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zeigt sich nach einem Treffen mit dem griechischen Regierungschef Giorgos Papandreou zuversichtlich. (c) EPA (OLIVIER HOSLET)
VP-Finanzministerin Maria Fekter sieht das nächste reguläre Treffen der Finanzminister am 11. Juli als spätesten Zeitpunkt für die Verabschiedung der Zwölf-Milliarden-Tranche und des neue Hilfspakets für Griechenland. (c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
EU-Währungskommissar Olli Rehn denkt, dass die Eurogruppe am kommenden Sonntag in der Lage sei, die Auszahlung der nächsten Kredittranche an Griechenland Anfang Juli zu entscheiden. (c) EPA (ZSOLT SZIGETVARY)
Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, besteht auf private Beteiligung an der Griechenland-Hilfe: "Wir müssen dafür sorgen, dass die Finanzmärkte nicht sagen, Griechenland ist pleite, und am Ende haben wir einen Flächenbrand." (c) Dapd (Michele Tantussi)
Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger beklagte sich vor allem über den öffentlichen Streit zwischen den Beteiligten. (c) REUTERS (� Tobias Schwarz / Reuters)
Der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erteilte der Forderung der Banken wirtschaftliche Anreize als Gegenleistung dafür, griechische Anleihen zu halten, eine Abfuhr. (c) Dapd (Maja Hitij)
Der Konjunkturchef des Ifo-Instituts, Kai Carstensen, hält nichts von einer freiwilligen Beteiligung privater Investoren:" Denn wie soll ein Bankvorstand seinen Aktionären erklären, dass er freiwillig auf einen Teil der Ansprüche verzichtet"? (c) AP (Miguel Villagran)
Die deutscher Bundeskanzlerin Angela Merkel bringt es auf den Punkt, was sie in der Griechen-Krise neben dem " Nichtschuldenmachen" für wichtig hält. (c) AP (Markus Schreiber)
Kenneth Rogoff, ein amerikanischer Wirtschaftsprofessor schreibt über Griechenland in seinem 2009 gemeinsam mit Carmen Reinhart herausgegebenen Bestseller: "Von 1800 bis lange nach dem zweiten Weltkrieg befand sich das Land beinahe ständig im Zustand der Pleite." (c) FABRY Clemens
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat dem hoch verschuldeten Griechenland Unterstützung zugesagt. Man könne ein Land der Euro-Zone nicht untergehen lassen, sagte er. (c) AP (Markus Schreiber)
Ewald Nowotny, EZB-Ratsmitglied und Chef der Österreichischen Nationalbank (ÖNB), meint, die wirtschaftlichen Probleme Griechenlands werden die Euro-Zone noch länger beschäftigen (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
Union-Fraktions-Chef Volker Kauder verteidigt das Rettungspaket der EU für das schwer verschuldete Griechenland. Dennoch sei es allerdings noch nicht klar, ob das Land weiteres Geld zur Überwindung der Finanzkrise erhalten könne. (c) FABRY Clemens
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle kritisiert Griechenland. Das Land brauche daher eine Art Treuhandanstalt, wie es sie in Deutschland gegeben habe. Wenn das Land die Privatisierung nicht schaffe, müsse diese über die Europäische Kommission mit Fachleuten vorangetrieben werden. (c) REUTERS (� STRINGER Brazil / Reuters)
Der designierte Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat sich erneut klar gegen eine Umschuldung Griechenlands ausgesprochen. (c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
SP-Bundeskanzler Werner Faymann erklärt die Unterschiede zwischen Irland und Griechenland: "Griechenland hat eine negative Handelsbilanz, Griechenland hat eine Schattenwirtschaft, Griechenland hat eine Steuerstruktur, bei der nur ein Teil der Steuern auch tatsächlich bezahlt wird. Griechenland hat viel mehr strukturelle Probleme." (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
Sir Michael Rake, Chef der British Telecom, hält die Griechen nicht für faul. Aber seiner Meinung nach muss die griechische Wirtschaft produktiver und flexibler werden. Die Gewerkschaften müssen sich mit der Regierung und mit den Unternehmen auf einen gemeinsamen, harten Weg verständigen. (c) APA/DRAGAN TATIC (DRAGAN TATIC)
EZB-Chef Jean-Claude Trichet schlägt in einer "Langfristperspektive" ein solches Ministerium vor, das sich um die Themen Haushaltspolitik und Wettbewerbsfähigkeit ebenso kümmert wie um den Finanzsektor. (c) REUTERS (ARND WIEGMANN)
Das sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower über die Griechenland-Krise. Er warnte, diese hätte erhebliche Bedeutung für die europäische Konjunktur und beklagte ein "völlig unnötiges Politkversagen". (c) EPA (MARKUS�SCHOLZ)
Das hoch verschuldete Griechenland darf nach Einschätzung seines neuen Finanzministers Evangelos Venizelos keine Zeit mehr verlieren. Für Griechenland sei es absolut notwendig, seine Glaubwürdigkeit in Zusammenhang mit dem Sparprogramm wieder zu erlangen. (c) EPA (SIMELA PANTZARTZI)
Eine Krise, viele Ratschläge
Das heißt aber nicht, dass die privaten Gläubiger Griechenlands angehalten werden, frisches Geld zu investieren, sagte ein mit der Sache befasster Eurokrat zur „Presse": „Es geht weiterhin darum, dass die Investoren ihre Positionen in Griechenland aufrecht erhalten." Ergänzend erklärten die Staatsspitzen, dass EU-Kohäsionsförderungen schneller als bisher an Griechenland ausgezahlt werden sollen.
IWF: Noch keine neue Anfrage aus Athen
Damit blieb auch das neunte Gipfeltreffen seit Ausbruch der Schuldenkrise Anfang 2010 vage: Nur keine Wellen, nur kein falsches Wort, dafür so viel Zeit gewinnen wie möglich, um das griechische Problem zu lösen.
Dieses Problem hat drei Facetten, sie bedingen einander. Erstens geht es darum, den griechischen Staat zahlungsfähig zu halten. Derzeit halten EU und IWF die fünfte Tranche an Hilfskrediten über zwölf von insgesamt 110 Milliarden Euro zurück, weil Athen die im Gegenzug versprochenen Maßnahmen zur Budgetsanierung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit nicht ergriffen hat. „Das Board muss zufrieden sein, dass das Programm auf Schiene ist und dass es angemessen finanziert ist. Wir haben kein Ansuchen von Griechenland für ein neues Programm erhalten", erklärte David Hawley vom IWF am Donnerstag.
Ob das Hilfsprogramm und damit der griechische Staat auch 2012 und 2013 finanziert ist, hängt zweitens davon ab, ob und in welcher Form die privaten Gläubiger Griechenlands ihre Investitionen vorläufig aufrecht erhalten. Das stellt Europas Regierungen vor ein Dilemma: Wenn die Kreditratingagenturen nur den leisesten Verdacht haben, dass die Banken, Fonds und Versicherungskonzerne ihre Positionen in Griechenland nicht freiwillig halten, sondern politischen Druck fürchten, bewerten sie das als „Kreditereignis".
Die Folge: Die Europäische Zentralbank dürfte keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheit für die Refinanzierung der griechischen Geschäftsbanken annehmen. Ein Bankencrash wäre die Folge. Das „Kreditereignis" hätte eine weiterreichende Folge, vor der Europas Politiker große Angst haben: Mit einem Schlag wären Credit Default Swaps, also Versicherungen gegen Kreditausfälle auf Basis von europäischen Staatsanleihen, infrage gestellt. Der griechische Virus würde somit das ganze Finanzsystem erfassen. „Vor diesem CDS-Problem haben alle eine Heidenangst", sagte ein hoher EU-Beamter zur „Presse". Klar also, dass die Notenbanken von Deutschland, Frankreich, Spanien und Belgien am Mittwoch sehr diskret mit ihren Banken über deren „freiwilliges" Behalten griechischer Ramsch-Papiere verhandelten, wie Reuters berichtete.
Reform des Stabilitätspaktes blockiert
Die dritte Facette des Problems erfasst die Frage, ob Europas Regierungen aus dem Schuldendrama gelernt haben. Ein Blick auf das seit einem Jahr laufende Gesetzgebungsverfahren zur Stärkung des Stabilitätspakts lässt Gegenteiliges vermuten. Das Europaparlament stimmte am Donnerstag dafür, dass künftig frühestmöglich automatische Sanktionen gegen „Budgetsünder" erlassen werden. Die Regierungen wollen daran festhalten, dass ihre Finanzminister einander gegenseitig Persilscheine ausstellen. Die für Juli erhoffte Einigung ist somit ungewiss.
Der Nationalbank-Chef mahnt Politiker zu schnellerem Handeln im Kampf gegen die Krise. Die Befürchtungen für internationalen Abwärtstrend steigen wieder.
Die EZB drängt Italien zu einem verschärften Sparkurs. Trichet fordert von den Europäern eine rasche Umsetzung der Beschlüsse vom Krisengipfel im Juli.
Das hoch verschuldete Italien ist zum größten Problem für die Eurozone geworden: Misslingt die Stabilisierung durch Sparprogramm und EZB-Anleihenkäufe, dann gerät die gesamte Eurozone in ernste Pleitegefahr.
Das Brechen von Verträgen gehört in Europa längst zum Tagesprogramm. Neu ist, dass es erwachsene Rechtsstaaten sind, für die der Zweck alle Mittel heiligt.
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