Über den (Alb-)Traum vom Weltraumflugzeug

Das Grundkonzept aller Raumfähren fußt in Plänen des Luft- und Raumfahrtpioniers Eugen Sänger aus den 1930er-Jahren. Nazideutschland hätte daraus fast einen Bomber gegen Ziele in den USA gemacht.

Als US-Präsident Richard Nixon 1972 den Auftrag an North American Rockwell (heute Boeing), Morton Thiokol (Alliant Techsystems) und Martin Marietta (Lockheed) zum sofortigen Bau des Space-Shuttle-Systems erteilte, wusste er wohl nicht, dass die USA damit die Vision eines Altösterreichers umsetzen würden – und wohl auch nicht, dass diese fast in einen „Weltraumbomber“ gemündet hätte, mit dem Deutschland im Zweiten Weltkrieg die USA hätte bombardieren können: den „Silbervogel“.

Sein Erfinder war Eugen Sänger. Er wurde 1905 in Preßnitz, einem heute nicht mehr existierenden Ort in Nordwestböhmen (damals Österreich) geboren, studierte an den Technischen Universitäten Graz und Wien und spezialisierte sich auf das neue Feld Raketenbau, vor allem solcher mit Flüssigantrieb. Er befürwortete Flugzeuge statt Raketen für die Raumfahrt und entwarf Raketenmotoren und Staustrahltriebwerke – das sind turbinenlose Triebwerke für extrem hohe Geschwindigkeiten in der Atmosphäre, die bis heute sehr schwer zu bauen und selten sind.

In den 30ern ging er nach Deutschland, baute Raketen und entwarf mit seiner Frau Irene im Zuge des „Amerikabomber“-Projekts den Silbervogel: Der sollte mit 22.000 km/h in 140 Kilometer Höhe steigen, wie ein Segelflieger sinken, Bomben auf die USA werfen und im verbündeten Japan landen. Das Projekt wurde 1944 gestoppt, es war zu aufwendig. Nach 1945 werkte er vorübergehend in Frankreich, wäre fast von den Sowjets entführt worden, arbeitete mit dem deutschen Junkers-Konzern an der „Sänger“-Raumfähre, schuf 1963 an der TU Berlin einen Raumfahrt-Lehrstuhl und starb 1964.

Es ist einfach zu kompliziert. Die USA und Russland fanden seine Studien interessant; ab 1957 tüftelte die US Air Force darauf aufbauend am Gleiter „Dyna-Soar“. Er sollte aber, wie die Shuttles, auf einer Rakete starten. Das Projekt wurde zugunsten des Mondprogramms beendet – um im Space-Shuttle-Programm aufzuerstehen.

Es gab viele Pläne für (horizontal oder vertikal startende) Raumgleiter, etwa die russische Fähre „Buran“, die britische „Hotol“, die europäische „Hermes“. Noch in den 90ern erwog Deutschland den Bau der „Sänger II“, und in mehreren Ländern, darunter China und Indien, dümpeln weiter solche Projekte vor sich hin. Allerdings sind die Erfolgschancen klein, was am Problem aller flugzeugartigen Raumschiffe liegt: der extremen Kompliziertheit. Dazu bieten sie im All gegenüber orthodoxen kapselförmigen Schiffen kaum Vorteile; sie sind dort nicht steuerbar wie ein Flugzeug, mangels Atmosphäre gibt es ja keine Aerodynamik.

Vorteile gibt's beim Landen, aber das Problem ist der Start: Um in einen Orbit (mehr als 100 km) um die Erde zu kommen und antriebslos verharren zu können, muss ein Objekt 28.000 km/h schnell werden. Das geht mit Flugzeugdüsen nicht, man braucht Raketen – die aber extrem viel Sprit brauchen, also wird das Vehikel schwerer, der Verbrauch steigt weiter etc. Daher wurden am Shuttle Startraketen befestigt und im Flug abgeworfen, um das Gewicht loszuwerden. Ein reines All-Flugzeug ohne solche Starthilfe ist bisher unmöglich. Eine Alternative wären Staustrahltriebwerke. Die sind aber für große Flugobjekte noch nicht machbar.

Übrigens: In Wien wurde 1971 die „Sängergasse“ nach dem Raumfahrtpionier getauft. Sie ist im schönen Simmering. Unweit des Zentralfriedhofs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2011)

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