Mikl-Leitner: "Schieben keine integrierte Familie ab"

(c) Mirjam Reither
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Der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau pocht im "Presse"-Doppelinterview auf Sensibilität in der Sprache. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner verteidigt die Anwesenheitspflicht: Diese helfe den Asylwerbern.

Die Presse: Herr Landau, wenn Sie Noten verteilen könnten: Was bekommt das Asylwesen?

Michael Landau: Einiges hat sich positiv entwickelt, etwa im Bereich der Qualität. Aber vieles ist noch zu tun. In den 1990er-Jahren ist es zu einer bewussten Vermischung von Asyl und Kriminalität gekommen, und ich denke, dass das ein problematischer Zungenschlag ist.

Das war jetzt eine verbale Beurteilung. In Österreich gilt aber immer noch das Notensystem. Was geben Sie?

Landau: Zwei bis drei.

Fühlen Sie sich gerecht benotet?

Johanna Mikl-Leitner: Der Herr Direktor Landau versucht immer, die Dinge objektiv zu beurteilen. Ich glaube, in den letzten Jahren ist in der Diskussion ein Fehler passiert: Ausländer sind als Ausländer bezeichnet worden, ohne eine Differenzierung vorzunehmen. Es gibt drei Gruppen: Menschen, die flüchten müssen. Die sind selbstverständlich herzlich willkommen bei uns und erhalten Asyl. Dann gibt es Menschen, die gezielt zuwandern, die wir brauchen, und Illegale.

Landau: Wir müssen auch daran denken, dass es bei Asylwerbern um Menschen geht, die zum Teil aus unvorstellbaren Situationen zu uns geflüchtet sind, die Erfahrungen gemacht haben, die wir uns gar nicht vorstellen können.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Landau: Es gibt Informationsdefizite. Viele glaube, dass Asylwerber Sozialhilfe beziehen oder arbeiten dürfen. Weder das eine noch das andere trifft zu. Ich bitte auch um Sensibilität in der Sprache. Ich glaube, dass der Wettbewerb um das grauslichste Wort nicht gewonnen werden kann und nicht gewonnen werden soll. Ich habe den Eindruck, da hat sich die Bundespolitik in den vergangenen Jahren viel zu sehr von rechtspopulistischen Parteien vor sich hertreiben lassen.

Mikl-Leitner: Gerade in der Thematik bedarf es einer sehr sensiblen Sprache. Wenn es sich um Flüchtlinge handelt, sind das Menschen, die sich in einer äußerst schwierigen Situation befinden. Deswegen gehört diesen Menschen auch unsere volle Unterstützung.

Die Praxis ist eine andere: Seit Kurzem dürfen Flüchtlinge in der Anfangszeit das Erstaufnahmezentrum nicht verlassen.

Mikl-Leitner: Das ist ja nicht aus Jux und Tollerei gemacht worden, sondern, um den Menschen, die auf der Flucht sind, schnell zu helfen, in ihrem ureigensten Interesse. Es ist da eben wichtig, mit den Betroffenen alle wichtigen Fragen rasch abzuklären. Das ist keine Schikane.

Landau: Aus meiner Sicht ist klar: Flucht ist kein Verbrechen...

Mikl-Leitner: ...So ist es...

Landau: Ich halte daher eine generelle Anwesenheitspflicht ausschließlich in dem limitierten Umfang für denkbar und vertretbar, wo es um rasche, faire und qualitätsvolle Asylverfahren geht. Eine Beschneidung der Freiheit ist nur in sehr engen Grenzen denkbar.

Warum gibt es eine Anwesenheitspflicht am Wochenende, wenn da nichts passiert?

Mikl-Leitner: Selbstverständlich arbeiten die Beamten auch am Wochenende, um die Verfahren so rasch wie möglich voranzutreiben. Es ist eine Mär, dass am Wochenende nicht gearbeitet wird.

Landau: Ich glaube, hier ist es zu früh, um eine wirkliche Bewertung vorzunehmen. Da wird man sich sehr genau die Praxis ansehen müssen.

Mikl-Leitner: Es geht auch darum, den Flüchtling vom Schlepper zu trennen. Wir wissen, dass es zu Menschenhandel, zu Ausbeutung, zu Drogenhandel, zu Prostitution kommt, dass Flüchtlinge oft von Schleppern zu derartigen Dingen gezwungen werden, weil noch nicht der gesamte Transport gezahlt ist.

Landau: Aber wäre nicht allen Beteiligten gedient, würde man die Flüchtlinge nach drei Monaten arbeiten lassen? Das wäre nicht nur menschlich richtig, sondern auch eine Entlastung der entsprechenden Einrichtungen.

Mikl-Leitner: Die Asylverfahren haben in der Vergangenheit viel zu lange gedauert, da hat niemand Verständnis, wenn sich das über Jahre zieht. Mein Ziel ist, dass diese langen Verfahren bald der Vergangenheit angehören, wir werden in einem Jahr unseren Rucksack abgebaut haben.

Von Arbeitsmöglichkeiten für Asylwerber halten Sie nichts?

Mikl-Leitner: Wir haben da eine klare Regelung, dass Asylwerber nach drei Monaten Saisonarbeit verrichten dürfen. Unser Ziel ist es, dass wir so rasch arbeiten, dass sich eine solche Fragestellung gar nicht mehr ergibt.

Was soll mit den Altfällen passieren, also Familien, die aufgrund langer Verfahren schon lange hier leben und gut integriert sind?

Landau: Wir haben nach der Bosnien-Krise 60.000 Bosnier gut integriert, mit einer sauberen rechtsstaatlichen Lösung. So etwas sollte es hier auch geben. Es handelt sich ja nur um ein paar tausend Fälle.

Mikl-Leitner: Selbstverständlich kann niemand verstehen, wenn jemand, der jahrelang da ist und gut integriert ist, außer Landes gebracht werden muss. Es wird auch in Zukunft jeder einzelne Fall geprüft. Es wird keine Familie abgeschoben, die gut integriert ist, wo die Kinder in die Schule oder in den Kindergarten gehen. Es werden nur jene mit einem kriminellen Hintergrund abgeschoben.

Im Fall der Familie Komani war das aber anders.

Mikl-Leitner: Da muss ich Ihnen recht geben, das war ein Verfahrensfehler. Ein derartiger Fall darf nicht mehr vorkommen.

Landau:Ein praktisches Beispiel: Wir hatten in einer unserer Einrichtungen eine Familie, die einen Tag vor der Behandlung ihres Falles in dem entsprechenden Beirat abgeschoben werden sollte. Wir haben das an die Ministerin herangetragen, die hat das gestoppt, der Beirat hat positiv entschieden, die Familie hat heute humanitäres Bleiberecht. Der Punkt ist: Es kann nicht sein, dass Bleiberecht davon abhängt, ob man jemanden kennt. Ich glaube, dass es eine strukturelle Lösung für Menschen braucht, die schon jahrelang hier sind, die über den guten Willen hinausgeht.

Mikl-Leitner: Ich garantiere, dass jeder Einzelfall geprüft wird.

Wo gibt es für die Caritas noch Kritikpunkte?

Landau: Dass auch nach der neuen Rechtslage noch Kinder in Schubhaft kommen können. Kinder und Jugendliche gehören nicht in Haft, das widerspricht dem Geist der Kinderrechtskonvention.

Mikl-Leitner: Herr Direktor Landau, ich muss Sie jetzt leider belehren: Kinder kommen nicht in Schubhaft. Das ist so, das gibt es nicht.

Landau: Die Kinderrechtskonvention gilt bis 18, 16-Jährige können in Schubhaft kommen.

Mikl-Leitner: Ich muss Sie darauf hinweisen, dass 16-Jährige schon strafmündig sind.

Landau: Wir wissen beide, dass 16-, 17-Jährige im Gefängnis am schlechtesten aufgehoben sind – zumal ja Flucht kein Verbrechen ist. Nicht jeder, der Asyl beantragt, wird auch Asyl erhalten können. Aber ich denke, dass in jeder Phase mit Kindern kindgerecht umgegangen werden muss.

Zu den Personen

Mikl-Leitner: Noch einmal: Kinder waren nicht in Schubhaft, Kinder sind nicht in Schubhaft, und Kinder werden auch in Zukunft nicht in Schubhaft kommen.

Michael Landau (51) ist seit 1995 Direktor der Wiener Caritas. Landau gilt als beharrlicher Mahner in sozialen Fragen und ist in den vergangenen Jahren stets gegen die zahlreichen Verschärfungen in den Fremdengesetzen aufgetreten. Der Wiener erhielt erst mit 20 die Taufe und studierte Biochemie, ehe er 1992 zum Priester geweiht wurde.

Johanna Mikl-Leitner (47) ist seit April Innenministerin. Davor war die Niederösterreicherin Landesrätin und zuvor ÖVP-Landesgeschäftsführerin. Die Asylagenden im Innenministerium betreut sie allein, für das Thema Integration bekam sie mit Sebastian Kurz einen Staatssekretär zur Seite gestellt. Mikl-Leitner ist verheiratet und hat zwei Töchter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19. Juli 2011)

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