Auch wenn die Schüler des Wiener Schulschiffs zu Ferienbeginn aufs Festland entlassen wurden - Schulwart Dragisa König hält die Stellung und passt auf seinen schwimmenden Arbeitsplatz auf. Und auf einen Biber.
"Manche mögen Flugzeuge, ich mag Schiffe. Deswegen bin ich hier“. Dragisa König ist kein Mann, der den Hintergründen seiner Lebensentscheidungen überflüssige Worte widmet. Fest steht: Das Wasser, die Schiffe, er lebt dafür – oder besser: darauf. Der ursprünglich aus Serbien stammende Mann ist Schulwart auf Europas einziger schwimmenden Schule, dem Schulschiff in Wien-Floridsdorf. Dort, unten im Bauch des 1994 eröffneten Schiffs bei der Floridsdorfer Brücke, wohnt König mit seiner Frau und zwei Kindern. Drei Zimmer, Küche, eine Kiste Bier im Vorzimmer – Gemütlichkeit auf Donauniveau.
Dass den Parkettboden nur Dezimeter vom Wasser trennen, sieht man der Wohnung nicht an. Lange genug habe er sie dafür hergerichtet, erzählt König. Jene Monate, bis Frau und Kinder sozusagen vom Festland nachzogen, nennt er den „sauren Apfel“ seiner Zeit am Schulschiff. „Da war mein einziger Nachbar ein Fischer“, erzählt König und hört wieder auf zu erzählen – sehr gesprächig dürfte der Kollege am Wasserufer nicht gewesen sein.
Ursprünglich, da wollte König auf einem holländischen Frachtschiff anheuern. Seine Eltern hätten ihn davon abgehalten, seit zwei Jahren ist er nun hier der erste Matrose neben Kapitänin (oder auch: Schuldirektorin) Judith Kovacic. Wie jeder Schulwart kümmert sich König um die Instandhaltung der Schule – nur, dass hier im Vergleich zu Schulen am Festland besondere Aufgaben anfallen. „Manchmal sind mir die Tage zu kurz“, so König. Denn das als letztes Auftragswerk der Korneuburger Werft konstruierte Schiff (die Werft sollte dadurch wirtschaftlich revitalisiert werden, schloss aber nach dem Schiffsbau endgültig) muss laufend kontrolliert werden, damit die Schule sich nicht zu sehr bewegt: Drei Eisenbalken verbinden das Schiff mit dem Donauufer, sie sind über Gummirollen mit dem Boot verbunden, damit Änderungen des Wasserpegels austariert werden können. Steigt der Wasserstand, bewegt sich die Rolle entlang der Halterung nach oben, sonst nach unten. Täglich kontrolliert König die Balken sowie die Stahlseile, die die beiden Teile des Schiffs zusammenhalten.
Hohe Wellen. Eine Schule am Wasser, eine Schule in ständiger Bewegung? Nicht wirklich. Nur im Verbindungsgang zwischen den beiden Teilkörpern spürt man die Donau – oder wenn, wie etwa einmal im Monat, ein großer Frachter vorbeifährt. Wobei das Vorbeifahren im Hinblick auf die Geschichte des Schiffs vergleichsweise harmlos ist: 2001 nützte ein Güterschiff die Stille der Nacht, um unbeobachtet bei der Floridsdorfer Brücke zu wenden; tagsüber ist dies verboten. Prompt stieß der Frachter mit dem Schulschiff zusammen und hinterließ einen Schnitt an der Außenseite. Beschädigt wurde nur die Hülle, die Klassen blieben heil. „Aufgeschlitzt wie eine Konservendose waren wir“, berichtet Direktorin Kovacic, die sonst naturgemäß lieber von den positiven Seiten der Wassernähe spricht: Die Jahreszeiten erlebe man sehr direkt mit, etwa durch Eisschollen, die an den Klassenfenstern vorbeitreiben. Im Sommer nütze man die Donauinsel für Sport. Als Sicherheitsrisiko empfindet Kovacic die Wassernähe nicht. „Wir weisen regelmäßig darauf hin, dass die Donau kein Swimmingpool ist“, so die Direktorin. Passiert sei nie etwas.
Nur beim Hochwasser 2008 habe sich das Schiff so sehr gehoben, dass die Zugangsbrücke steil bergauf ragte. Die Halterung hielt stand, die Brücke wurde danach sicherheitshalber verlängert. Dem ungemütlichen Schulweg von der U-Bahn-Station Handelskai zum Trotz ist das Schiff als Schule übrigens beliebt: Rund 60 Schülern muss Judith Kovacic jährlich die Aufnahme in die ersten Klassen verwehren.
Ein anderer Effekt der besonderen Schulumgebung ist das Werk eines Nagers: Weil ein Biber die Wurzeln der Bäume am Ufer anknabberte, drohten sie aufs Schiff zu kippen – ein Fall für König, der aber derzeit wenig Aktivität ortet: „Momentan sehe ich ihn selten“, so König über den Biber, der noch als Einzeltäter gilt. Vielleicht taucht er ja wieder auf, wenn Wochen nach Schulschluss genug Stille eingekehrt ist.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2011)