Dem Reinen ist alles rein – auch ein Baunzerl

Auf den Philippinen empören sich Katholiken über ein Kunstwerk, das ein Kreuz und einen Penis kombiniert. Symbole wirken – und wie!

Profane und religiöse Objekte hat der philippinische Künstler Mideo Cruz in einer wilden Collage namens „Polyteismo“ zusammengestellt, u.a. Maria und Brüste, Jesus und Mickey Mouse, ein Kreuz und einen Penis. Strenge Katholiken sehen vor allem das letzte Motiv als blasphemisch an, nennen den Künstler einen Teufel, rufen zum Boykott der Ausstellung auf; Cruz erklärt die inkriminierte Darstellung als Symbol für das Patriarchat. Beides war zu erwarten, es ist nicht die erste Erregung dieser Art.

Mich fasziniert daran erstens die archaisch anmutende Idee, Obszönes und Religiöses zu kombinieren. Zweitens die Frage: Wie weit lassen sich Symbole aus beiden Sphären vereinfachen, um gerade noch erkannt zu werden (und bei verfänglicher Kombination in dafür empfänglichen Gemütern Empörung zu induzieren)?

Das Kreuz macht es einem besonders leicht, leichter als z.B. Davidstern und Halbmond, vom Om der Buddhisten und Hindus ganz zu schweigen. Simpler, reduzierter als das Kreuz kann ein Symbol kaum sein. Man kann es überall erblicken, den Frommen kann ein schlichtes kartesisches Koordinatensystem an seinen Erlöser erinnern. In jedem Rechenbuch findet man es unzählige Male, noch öfter, wenn man auch das Andreaskreuz (✕) zählt.

Aber auch sexuelle Symbole können in sehr reduzierter Form noch wirken. Erst unlängst meinten Archäologen, die älteste Wandkunst auf dem Gebiet des heutigen Deutschland zu sehen – in einer Höhle bei Bamberg. Sie ist voll mit – auf natürliche Weise entstandenen – Tropfsteinen, die viele, wenn nicht alle Beobachter an Geschlechtsteile erinnern, und zwar merkwürdigerweise an männliche und weibliche. Darauf sieht man Gravuren, die vor 10.000 bis 12.000 Jahren eingeritzt wurden. Was sie darstellen (und ob sie überhaupt etwas darstellen), erschließt sich mir nicht, aber es soll, so die Archäologen, die erotische Aussage der Steine unterstreichen.

Man muss nicht so weit zurückgehen in der Geschichte der Kritzelei. Ich besitze eine Reclam-Ausgabe der „Oden und Epoden“ des Horaz aus meiner Schulzeit, deren Cover ein kecker Mitschüler doppelt verziert hat: Erstens hat er das erste Wort des Titels durch ein anfängliches „H“ sinnverändernd ergänzt, zweitens eine wellige Linie gemalt, die simpler kaum sein kann, aber dennoch (nicht nur von Gymnasiasten) unweigerlich als Darstellung männlicher Geschlechtsorgane interpretiert wird.

Ad absurdum geführt wird dieser Automatismus in dem Witz vom Psychiater, der seinem Patienten zufällig entstandene Tintenbilder à la Rorschach vorlegt und ihn um seine Assoziationen bittet. Bei jedem Bild ruft der Patient freudig erregt „Geschlechtsverkehr!“, bis es dem Psychiater zu blöd wird und er den Patienten anherrscht: „Denken Sie denn immer nur daran?“ „Was soll ich denn tun“, antwortet dieser, „wenn Sie mir so unanständige Bilder zeigen?“

Man kann sich natürlich auch prinzipiell gegen diese – von Freudianern perfektionierte – Art der Zeichenleserei sträuben. Friedrich Torberg schildert in seiner „Tante Jolesch“ eine Jausengesellschaft am Grundlsee, bei der die Rede auf Sexualsymbole im Alltag kam. Ein Seelenarzt in der Runde deutete auf ein in der Mitte gefurchtes Milchgebäck (von Torberg als „Baunzerl“ bezeichnet): Das stelle doch eindeutig den weiblichen Geschlechtsteil dar! Egon Friedell inspizierte das Stück und schüttelte den Kopf: „Dem Reinen ist alles rein. Für mich ist das ein Kinderpopo.“

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2011)

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