Atempause im Norden des Kosovo

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Premier Thaçi wollte im Grenzstreit Härte zeigen, auch um von Veteranenprotesten und der Causa Limaj abzulenken. Der jetzige Kompromiss verschiebt eine Lösung auf später.

Es war eines der letzten Gefechte im Krieg um den Kosovo. Ylber und seine Kameraden rückten zu den serbischen Stellungen vor, oben am Dulje Pass – der strategisch wichtigen Anhöhe zwischen Kosovos Hauptstadt, Prishtina, und Prizren. Bei ihrem Vormarsch gerieten die Männer in ein Minenfeld. Zwei von ihnen starben, Ylber und ein anderer wurden schwer verwundet. Seither fehlt Ylber das linke Bein.

„Das passierte am 6. Juni 1999. Nur Tage später war der Krieg vorbei“, erinnert sich der ehemalige Kämpfer der kosovo-albanischen Untergrundarmee UÇK heute. Er war 23 als er das Bein verlor. Erst seit einigen Monaten bekommt er als Kriegsversehrter finanzielle Hilfe vom Staat Kosovo. Für seine einstigen Kameraden, die den Krieg körperlich unbeschadet überstanden, gab es bis jetzt keine öffentlichen Gelder. „Das ist ungerecht. Alle, die gekämpft haben, müssen etwas bekommen“, sagt Ylber. Gemeinsam mit anderen UÇK-Veteranen hatte er in den vergangenen Wochen in Zelten vor dem Sitz der Regierung in Prishtina campiert. Um der Forderung nach einer Pension für Veteranen Nachdruck zu verleihen. „Wir haben nichts“, meint Murat, der 1999 an der Grenze zwischen dem Kosovo und Albanien im Einsatz war. „Aber unsere Kommandanten sind reich geworden.“

Einer dieser Ex-Kommandanten ist Hashim Thaçi, der frühere politische Direktor der UÇK und heutige Regierungschef des Kosovo. Und der Protest der Veteranen ist für ihn nur eine von vielen Fronten, an denen er zu kämpfen hat: Da ist zunächst der Streit um die Immunität seines einstigen UÇK-Kameraden Fatmir Limaj. Der Ex-Verkehrsminister wurde von der EU-Rechtsstaatsmission Eulex wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Vertreter der EU und die USA machen Druck auf Thaçi, dass Limaj seine Immunität als Abgeordneter verliert. Doch ein Teil von Thaçis Partei legt sich quer.

Dazu kommt der Streit um die Überwachung der Grenze zu Serbien. Dabei deutete sich am Donnerstag ein erster vorübergehender Kompromiss an. Laut serbischen Medien soll nun auch Thaçi dem Lösungsorschlag zugestimmt haben, den zuvor die Kosovo-Friedenstruppe KFOR mit Serbiens Regierung ausverhandelt hatte. Demnach sollen die beiden umstrittenen Grenzübergänge Brnjak und Jarinje bis Mitte September unter der Kontrolle der KFOR bleiben.

Kosovo-Regierung zeigt Muskeln

Gerade in der Grenzfrage wollte Thaçi Härte zeigen – weil er hier auch die Opposition und den Großteil der Bevölkerung hinter sich wusste. Und wohl auch um damit von unangenehmen Themen wie den Veteranenprotesten und der Causa Limaj abzulenken.

Vor einigen Wochen stieg Serbien aus dem Dialog mit dem Kosovo aus und stellte klar, auch weiterhin nicht die Zollstempel des Nachbarn anerkennen zu wollen. Prishtina verbot im Gegenzug die Einfuhr serbischer Güter. Der Norden des Kosovo steht aber de facto unter serbischer Kontrolle. Und so entsandte Thaçi Spezialeinheiten der Polizei, die die Grenzübergänge in Besitz nehmen sollten. Die serbische Seite schlug zurück: Demonstranten griffen Grenzstationen an und blockierten Straßen im Nordkosovo, die Friedenstruppe KFOR musste dazwischengehen. Der jetzige Kompromissvorschlag verschiebt eine Lösung des Grenzkonfliktes auf später. Denn für Prishtina ist klar: Man will die Anerkennung seiner Stempel durchsetzen und langfristig die volle Kontrolle über die Grenzen des eigenen Staates. Doch die im Nordkosovo lebenden Serben und Belgrad wollen davon nichts wissen.

Auch an der Veteranenfront herrscht nun teilweise Waffenruhe: Die Kosovo-Regierung hat ein Gesetz versprochen, das UÇK-Veteranen monatlich etwa 140 Euro zusichert. In den Genuss der Zahlung sollen aber nur Ex-Kämpfer über 50 Jahre kommen. Alles andere könne man sich mit dem knappen Budget nicht leisten.

Ein Teil der Veteranen will das akzeptieren, die anderen aber nicht. Murat deutet auf das Hochhaus, in dem Premier Thaçi sein Büro hat: „Hashim ist da ganz oben. Und wir sind ganz unten. Aber das war schon immer so.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2011)

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