Die britische Innenministerin fordert drastische Maßnahmen im Kampf gegen die Bandenkriminalität. Ein 16-Jähriger wurde in London nach den Unruhen wegen Mordes angeklagt.
Die britische Innenministerin Theresa May will im Kampf gegen Bandenkriminalität jetzt auch Ausgangssperren ermöglichen. Dabei ist auch eine Art Hausarrest für Jugendliche im Alter unter 16 Jahren im Gespräch. Im Innenministerium werde diskutiert, wie der Polizei entsprechende Maßnahmen an die Hand gegeben werden könnten, sagte May am Dienstag in London. Dafür bedürfe es aber einer Gesetzesänderung.
Unterdessen wurde in London ein 16 Jahre alter Jugendlicher wegen Mordes angeklagt. Er soll für den Tod eines 68-jährigen Mannes verantwortlich sein. Dieser war von Randalierern attackiert worden, als er im Stadtteil Ealing ein Feuer in einem Mülleimer eines Supermarktes löschen wollte. Der Mann starb später im Krankenhaus an den Folgen seiner Verletzungen. Der Mutter des 16-Jährigen wird vorgeworfen, sie habe die Ermittlungen der Justiz behindert.
London: 1635 Festnahmen, 940 Anklagen
Auch in den anderen vier Todesfällen während der Krawalle sind die mutmaßlichen Verantwortlichen bereits gefasst worden. In Birmingham verhört die Polizei sieben Männer, nachdem drei Männer nach Darstellung der Polizei absichtlich von einem Auto überfahren wurden. Im Londoner Stadtteil Croydon war ein 26-Jähriger mit tödlichen Schusswunden in einem Auto gefunden worden. Auch hier wurden Verdächtige festgenommen.
Im Zusammenhang mit den Krawallen sind allein in London 1635 Menschen festgenommen worden. 940 wurden angeklagt. Die Quote derer, die von Gerichten ins Gefängnis geschickt werden, liegt derzeit bei 65 Prozent. Möglicherweise war bei den Krawallen auch ein Anschlag auf den neu gebauten Olympiapark geplant. Ein Polizeioffizier erklärte am Dienstag, die Polizei habe dies bereits im Vorstadium vereitelt. In London finden ab 27. Juli 2012 die Olympischen Sommerspiele statt.
Vier Jahre Haft für Anstiftung auf Facebook
Zwei junge Männer aus dem Nordwesten Englands sind wegen Anstiftung zu Randale über das soziale Netzwerk Facebook zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt worden. Das entschied ein Gericht am Dienstagabend in der Grafschaft Chester. Die beiden Männer hatten auf Facebook zu Randale und Plündereien in der nordwestenglischen Stadt Northwich aufgerufen. Die Polizei hatte das Schlimmste verhindern können. Richter Elgan Edwards sagte, er hoffe, das Urteil habe abschreckende Wirkung für andere.
Premierminister David Cameron besuchte am Dienstag erstmals den zum Teil verwüsteten Stadtteil Tottenham im Norden Londons. Dort hatten vor fast zwei Wochen die gewalttätigen Auseinandersetzungen begonnen. Cameron besuchte bis zu 200 Betroffene, die durch Häuserbrände oder Verwüstungen obdachlos geworden sind. "Ich wollte aus erster Hand ein paar von den Dingen hören, die Ihnen widerfahren sind", sagte er zu den Krawall-Opfern.
Viele englische Städte wurden im August 2011 von schweren Krawallen heimgesucht.Im Bild: Ein zerstörter Wohnwagen in Toxteth, Liverpool, aufgenommen am Mittwoch. (c) REUTERS (PHIL NOBLE)
Nicht zuletzt durch die massive Polizeipräsenz wurden die Unruhen nach vier Nächten eingedämmt. Allein in London waren 16.000 Beamte im Einsatz. (c) AP (JON SUPER)
In Birmingham gedachten Hunderte bei einer Mahnwache der drei jungen Männer aus muslimischen Einwandererfamilien, die von einem Auto überfahren und getötet worden waren. Insgesamt kamen fünf Personen ums Leben. (c) REUTERS (ANDREW WINNING)
Die drei Männer dürften von einem Autofahrer mutwillig totgefahren worden sein, als sie eine Art Nachbarschaftswache zum Schutz ihrer Häuser bilden wollten. (c) AP (Rui Vieira)
Die Welle der Gewalt dauerte vier Nächte in Folge an - und breitete sich von London auf weitere Städte aus.Bild: Randalierer stecken in Birmingham ein Auto in Brand.
In Birmingham, der zweitgrößten Stadt des Landes, stand die Polizei im Dauereinsatz.
Autos brannten, ... (c) AP (Tim Hales)
... Geschäfte wurden geplündert.
Die Welle der Gewalt schwappte auch auf Städte wie Wolverhampton, West Bromwich oder ...
... Manchester über, wo ein Modegeschäft in Brand gesteckt wurde. (c) EPA (DAVE THOMPSON)
In London stockte Premier David Cameron die Einsatzkräfte auf 16.000 auf. Allerdings erst nach zwei Krawallnächten, was ihm Kritik einbrachte.
In der Nacht zum Dienstag hatte die Welle von Krawallen in London mit einem Flammeninferno in mehreren Stadtteilen ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. (c) AP (Lewis Whyld)
Nach dem Norden und Süden der Metropole breitete sich die Gewalt in der Nacht auch auf den Westen und Osten Londons aus, auch die Städte Birmingham und Liverpool wurden erfasst. (c) REUTERS (OLIVIA HARRIS)
"Was hier passiert, kann einfach nicht entschuldigt werden", sagte Scotland Yard-Chefin Christine Jones zu den Szenen auf den Straßen Londons. (c) AP (Lefteris Pitarakis)
In Ealing im Westen gingen maskierte Jugendliche auf Raubzug und setzten dabei Mülltonnen in Brand. Zahlreiche Schaufenster gingen zu Bruch. "Es sieht aus wie in einem Kriegsgebiet", so ein Augenzeuge. (c) AP (David Jones)
Im Stadtteil Croydon brannte ein ganzer Straßenzug. Polizei und Feuerwehr schienen völlig überfordert. Auch in den Stadtteilen Clapham, Peckham, Hackney, Ealing und Lewisham gab es Krawalle. (c) EPA (FACUNDO ARRIZABALAGA)
Insgesamt waren in London und Birmingham bis Montagabend mehr als 250 Verdächtige festgenommen worden, teilte die Polizei mit. Die Polizei schickte in der Nacht zum Dienstag weitere 1700 Beamte in die "Krisengebiete" Londons. (c) AP (Simon Dawson)
Vizepremierminister Nick Clegg sagte, die Randalierer seien "opportunistische Kriminelle". (c) EPA (KERIM OKTEN)
Die Krawalle hatten in der Nacht zum Sonntag in Tottenham begonnen. Zwei Tage zuvor war dort der 29-jährige Mark Duggan von einem Polizisten erschossen worden. (mehr ...). (c) Reuters (STEFAN WERMUTH)
In der Nacht zum Montag griffen im benachbarten Stadtteil Enfield Jugendliche Polizisten an und warfen Fenster ein. Die Polizei spricht von "Trittbrettfahrern der Krawalle vom Wochenende. (c) AP (Karel Prinsloo)
Im Stadtteil Brixton im Süden verwüsteten mehr als 200 Jugendliche die zentrale Einkaufsstraße. (c) REUTERS (SUZANNE PLUNKETT)
In der Nacht zum Sonntag hatten Gewalttäter ein ganzes Viertel im Stadtteil Tottenham überrollt. Randalierer setzten Häuser, Geschäfte und Supermärkte in Brand, zündeten Polizeiautos und einen Doppeldecker-Bus an und plünderten Geschäfte. (c) Reuters (STEFAN WERMUTH)
Von einigen Häusern blieben nur die Grundmauern, von Fahrzeugen nur Stahlgerippe übrig. Hintergrund war der noch nicht vollständig aufgeklärte Tod eines 29-jährigen: Ein Polizist hatte den Familienvater am Donnerstag erschossen. (c) REUTERS (STEFAN WERMUTH)
Vorausgegangen war eine Demonstration von Einheimischen, die Antworten auf Fragen nach dem Tod des 29-Jährigen vermissten. Die Familie des Getöteten und deren Umfeld glaubt nicht an die Version der Polizei, der 29-Jährige habe aus einem Taxi heraus das Feuer eröffnet. Mittlerweile hat die Polizei eingestanden, dass es "keine Beweise" dafür gebe, dass der 29-Jährige auf die Polizei geschossen hatte. (c) EPA (DANIEL DEME)
Der Sachschaden geht in die Millionen. Nach Berichten von Augenzeugen spielten sich dramatische Szenen ab. Familien mit kleinen Kindern mussten aus ihren Wohnungen in brennenden Häusern fliehen. "Es war wie im Krieg", sagte ein Anwohner dem Sender Sky News. (c) EPA (FACUNDO ARRIZABALAGA)
Teile des Londoner Stadtteils Tottenham gelten seit Jahrzehnten als problematisch. Viele Kulturen, in ihren Heimatländern häufig verfeindet, treffen dort aufeinander. Bereits 1985 hatte es einen Aufsehen erregenden Aufstand gegeben, ein Polizist wurde erschossen. In den vergangenen Jahrzehnten war Tottenham als eines der Zentren der Londoner Bandenkriminalität bekannt. (c) Reuters (STEFAN WERMUTH)
Nach Angaben von Scotland Yard wurden nach den Ausschreitungen 55 Verdächtige festgenommen. 26 Polizisten und drei Zivilisten wurden verletzt. (c) EPA (FACUNDO ARRIZABALAGA)
Die Polizei habe Kräfte zusammengezogen, um eine Fortsetzung der Gewalt zu unterbinden. (c) REUTERS (STEFAN WERMUTH)
"Die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen", sagte ein Polizeioffizier. (c) REUTERS (STEFAN WERMUTH)
"Wir sahen uns einer Gewalt gegenüber, wie wir sie in diesem Ausmaß nicht erwarten konnten", sagte Adrian Hanstock von Scotland Yard. Die Downing Street sowie Innenministerin Theresa May verurteilten die Gewalt als "völlig unakzeptabel". (c) Reuters (STEFAN WERMUTH)
(c) AP (Lefteris Pitarakis)
(c) EPA (KERIM OKTEN)
Feuer und Randale in England
Innenministerin will Ausgangssperren
Der stellvertretende Premier Nick Clegg machte deutlich, es solle einen unabhängigen Ausschuss geben, der die "Stimme der Opfer" höre. Ziel sei es, besser zu verstehen, was genau passiert sei. Dies sei aber nicht der vom Labour-Oppositionschef Ed Miliband geforderte Untersuchungsausschuss, betonte Clegg. Außerdem schlug Clegg vor, dass jugendliche Randalierer die von ihnen angerichteten Schäden - als Teil ihrer Strafe - selbst beseitigen sollten.
"Unter dem bisher geltenden Gesetz gibt es keine Möglichkeit, eine generelle Ausgangssperre in einer bestimmten Gegend zu verhängen", sagte Ministerin May. Auch die Handhabe gegen Jugendliche unter 16 Jahren sei bisher begrenzt. "Das sind die Änderungen, über die wir reden müssen", sagte die Ministerin. Bisher können Ausgangssperren nur gegen einzelne Verdächtige verhängt werden. May will an den Plänen der Regierung festhalten, die Ausgaben für die Polizei in den kommenden vier Jahren um 20 Prozent zu kürzen. Es sei weniger entscheidend, wie viele Polizisten zur Verfügung stünden. Viel entscheidender sei, wie man sie im entscheidenden Moment in Position bringe, sagte sie.
"Schlag ins Gesicht" für die Polizei
Der Chef der Polizeigewerkschaft Police Federation, Paul McKeever, bezeichnete die Rede der Ministerin als "Schlag in Gesicht" für die Polizei. "Ich habe schon vergangenes Jahr Unruhen und kriminelles Verhalten vorhergesagt, aber die Regierung hat mir nicht zugehört", sagte McKeever.
Unterdessen wurde am Dienstag bekannt, dass es bei einer Auseinandersetzung zweier offenbar verfeindeter Gangs in London erneut zu einem Gewaltverbrechen gekommen ist. Ein 17-Jähriger wurde bei dem Streit erstochen. Es ist der neunte Teenager, der in diesem Jahr in London zu Tode gekommen ist, der achte durch Messerstiche.
Laut Schätzungen sind mindestens sechs Prozent der britischen Jugendlichen in Straßengangs organisiert. Sie handeln mit Drogen, brechen ein, stehlen und liefern sich teils bewaffnete Kämpfe mit rivalisierenden Gangs.
Mittelamerika wird seit Jahren von den "Maras" terrorisiert, ultrabrutalen Jugendbanden, deren Mitglieder sich fast schon als religiöse Gemeinschaft begreifen.
Tausende trauern um die drei Männer, die starben, als sie Geschäfte vor Plünderern schützen wollten. Sie werden in der muslimischen Gemeinde in Birmingham als Märtyrer verehrt.
Zwei junge Briten wurden zu je vier Jahren Haft verurteilt, weil sie über Facebook zu Krawallen aufgerufen hatten. Dies sei unverhältnismäßig, sagen Kritiker.
Vize-Premier und Koalitionspartner Nick Clegg kündigt die nächste Maßnahme der britischen Regierung zur Aufarbeitung der Unruhen an. Man will Randalierer zur Gemeindearbeit in den geplünderten Vierteln zwingen.
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