Januskopf

„Der US-Imperialismus ist unerträglich“, sagt der Achtundsechziger zu mir, „schon Papi hat's gesagt, er ruhe in Frieden.“ Ein Cocktail.

1 – „Das Ganze ist das Unwahre. Diese Welt wird durchtrieft von einem Moloch, der knietauf den Lungen der Menschheit, er tritt die Regenwälder nieder, er durchschnalzt früheKulturhemisphären mit der Nilpferdpeitsche globaler Maximalprofite“, sagt einer, der aussieht wie Fritz Teufel, ihr wisst, der Kerl aus der Kommune 1, Berlin 1968, und er schaut mich mit dem woodstock-gelinden John-Lennon-Blick an. Ich liege im Bett und überlege, wie denn dieser Sandalenprediger in meine Heimstatt gedrungen ist, um mir Sympathie für den amerikanischen Traum von Weltherrschaft zu unterstellen.

„Das Zusammenspiel von Rassismus, Zionismus, Imperialismus bildet den Golem des 21. Jahrhunderts aus“, sagt mein Achtundsechzigergenosse und windelt mir die Bettdecke herunter. „Deine Leute“, sagt er mit Blick auf meine Körpermitte, „pfui Teufel.“ Alle lachen, weil Fritz Teufel als John Lennon „pfui Teufel“ sagt. Ich greife nach der Tuchent, ich mache dabei Ruderbewegungen beim Versuch, mich zu bedecken, da ertönt von hinten ein Fanfarenstoß, ich rudere auf dem Nil Richtung Gelobtes Land, daweil sie den Verrätertriumphmarsch blasen. Mein Floß, Kon-Tiki heißt es, möchte zumRoten Meer. Zum Gelben Meer, hep, hep. So wache ich auf, denn im Sender Ö 3 hat eine Moderatorenstimme „Sie Depp“ gesagt.


2 – Es war einmal eine Nachkriegszeit, die neunzehnachtundsechzig zu Ende ging. Herrschaften, wir waren so unterwegs. Wir waren unterwegs zu silbrigen Gefilden der Selbstverwirklichung, zu goldenen der Gegenöffentlichkeit, zu roten der Revolution.

Dass ich Jude bin, spielte damals womöglich keine Rolle. Denn auch im tiefen Deutschland fragten manche Studenten ihre versulzten Väter: „Papi, was hast du im Krieg gemacht?“ Wann ist's endlich aus mit dieserabgewirtschafteten Generation, die das Wirtschaftswunder erlebt hat, bestaunt hat und geschwitzt hat dafür und geschwiegen und bramarbasiert hat. Und gespuckt haben die Leutchen sowohl in die eigenen Hände als auch auf uns, die wir von ihrem Schweiß und ihrem bitteren Leben profitieren, wir Friedens- und Wohlstandskinder. „Solange ihr unter den Schornsteinen des Wirtschaftswunders wohnt, habt ihr zu tun und fortzusetzen, was folglich und füglich wir der Nazizeit entwunden und in die ungeliebte Demokratie gerettet haben.“ Wahrlich, das Ganze war das Unwahre.

Allüberall, in der Kunst, der Literatur, derGesellschaft, wollten wir die formierte Bagage – das Establishment – aufbrechen, eineBüchse der Pandora muss aufgesprengt werden, damit der Ungeist und die Barbarei dieses Jahrhunderts für alle sichtbar entweichen.


3
–Als linker Jude will ich mich nicht unterscheiden von den linken Österreichern und Deutschen. Wir schmieden am Bündnis mit der studierenden Jugend, wir, die studierende Jugend, wir haben dieselben Ziele.

Doch der Antiamerikanismus ist ein rüstiger Wanderer. Vierschrötig und braunhemdelig bekämpft er das Negeramerika, das Judenamerika, das ja schon immer der nordischen Nation ans Eingemachte wollte. Er wanderte in den Vätern. Die machten nach dem Krieg einen faulen Frieden mit Amerika, verführt vom Marshallplan. Aber in Sandalen und mit Nickelbrille, mit Levis-Jeans marschiert der Wanderer gegen das imperiale Amerika, das westlich-pseudodemokratische Amerika. Ami go home. Drei, vier, viele Vietnam. Er wanderte in den Söhnen und Töchtern. Er kommt herum, dieser Wotan.


4
–Das Wahre ist das Ganze.Der Achtundsechziger sitzt auf meiner Bettkante. „Schau her“, sagt er zu mir, und er zeigt mir seinen Januskopf. „Die Naziväter“, sagt er, „sind unerträglich. Aber der US-Imperialismus ist erst recht unerträglich. Israel aber ist ein Kettenhund dieses US-Imperialismus. Hier haben unsere Väter einen Punkt erwischt. Dennwer hat Einfluss auf die amerikanische Politik? Wer strebt – halten zu Gnaden – nach Weltherrschaft? Schon Papi hat's gesagt, er ruhe in Frieden.“

Der Achtundsechziger auf meiner Bettkante senkt sein Haupt, sodass ich beide Scheitel sehe. Er räuspert sich und spricht weiter: „Was immer er im Krieg gemacht hat. Es war grauenhaft. Und hat nicht einmal mit den Seinen die Herrschaft des US-Kapitals und des damit verstrickten Judentums verhindert, sondern beide sogar gestärkt. Halbe Sachen, verlorene Sachen.“


5
–So hat sich im Zentrum der von mir geliebten und wunderbaren Achtundsechzigerbewegung etwas erhalten, das uns ans Leder geht. So muss das „verhasste Amerika“, das uns von Hitler mit befreit hat, den Judenstaat schützen. Und meine Achtundsechziger und ihre Kinder müssen in ihrem Hass auf Amerika die Vernichtung Israels billigend in Kauf nehmen um der Befreiung der Verdammten dieser Erde willen.

Ja, aha, sie kritisieren nicht Amerika, bloßdie jeweilige und jede Administration. Sie sind berühmt für ihre Differenzierungen, meine Achtundsechziger.

Vor etwa 20 Jahren haben die jüdischen Achtundsechziger den Pakt mit den nichtjüdischen kündigen müssen. Damals sagte Wolf Biermann: „Bindet eure Palästinensertücher fester. Wir sind geschiedene Leute.“ Aber das sind ja doch noch immer auch meine Leute. Drum träume ich so wunderbar. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2011)

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