Viennale: Zukunftskino mit Gegenwartsbildern

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Heute eröffnet Wiens Filmfest mit Aki Kaurismäkis „Le Havre“. Vor geplanten Veränderungen zum Jubiläum nächstes Jahr bietet man nochmals einen bewährten Programm-Mix. Heimische Filme sind stark vertreten.

Über Veränderungen bei der Viennale denkt Direktor Hans Hurch erst für nächstes Jahr nach, wenn Wiens Filmfest seine 50. Jubiläumsausgabe feiert. Die heurige Edition bietet jedenfalls noch einmal die etablierte Programmstruktur, mit der sich die Viennale einen beachtlichen Ruf im internationalen Festivalzirkus erspielt hat – auch wenn Hurch selbst einräumt, dass der Mix von neuen Filmen, ausgewählten Spezialprogrammen und hochwertigen Retrospektiven „berechenbar“ geworden sei.
Wie auch immer: Mit dem Immigrantenmärchen Le Havre von Festivalliebling Aki Kaurismäki wird heute im Gartenbau die Viennale eröffnet, als Vorfilm gönnt sich Hurch dazu den strengen, schillernden Kafka-Kurzfilm Schakale und Araber von Jean-Marie Straub. Bis 2. November läuft dann der bewährte Mix: Prestigepremieren (wie der famose Freud-Film A Dangerous Method, mit Regisseur David Cronenberg als Gast), kleinere Kunstfilme, gelegentliche Genre-Abstecher (leider auch La casa muda – The Silent House aus Uruguay, der schlechteste Horrorfilm seit Langem), innovative Ansätze und historische Schätze. Letztere reichen von einer Schau zu Gaststar Harry Belafonte bis zur Reprise von Gingakei – Galaxy (1967), dem Debüt des japanischen Regisseurs und Terroristen Adachi Masao.

Ulrich Seidl gibt Ausblick aufs „Paradies“

Stark vertreten ist diesmal das heimische Kino, obwohl die Austrofestivalfilme dieses Jahres – Michael Glawoggers Whores' Glory, Markus Schleinzers Michael und Atmen von Karl Markovics – schon regulär im Kino angelaufen sind. Nur ein österreichischer Spielfilm ist bei der Viennale: Sebastian Meises Debüt Stillleben, ein etwas persönlichkeitsarmes Seelendrama im kontrollierten Stil, der den Austrokunstfilm dominiert. Außerdem wird der renommierte Regisseur Ulrich Seidl bei einer „Work in Progress“-Veranstaltung am Nationalfeiertag seine kommende Filmtrilogie Paradies präsentieren.
Elf Dokumentar- und 15 Kurzfilme erlauben dieweil Entdeckungen, Regisseurin Sasha Pirker ist dazu ein Special gewidmet: Am 22. 10. zeigt sie ihre experimentellen Architekturstudien zwischen Paris (Oscar Niemeyer), Hollywood (Rudolph Schindler), Österreich (Cornelius Kolig) und Japan.
Außerordentlich in jeder Hinsicht unter den neuen Filmen der Viennale ist Michael Palms abendfüllender Essay Low Definition Control (Malfunctions #0), eine faszinierende Auseinandersetzung mit Tendenzen der Überwachungsgesellschaft, die seit 9/11 immer stärker forciert – und akzeptiert – werden. Auf der Tonspur reden Wissenschaftler und Experten aus verschiedenen Bereichen: Fragmente einer Theorie zwischen bildgebenden Verfahren, neurologischen Thesen und theologischen Einsichten. Dazu bemerkenswerte Breitwandbilder, größtenteils schwarz-weiß und stilisierte Alltagsaufnahmen: Was da manchmal wie Science-Fiction-Kino wirkt, beschreibt einen längst in Gang gesetzten Gesellschaftswandel.
Palms Produzent Johanns Hammel hat nicht nur seinen Kurzfilm Jour sombre bei der Viennale, der Ausflugsbilder aus den 1960ern verfremdet, bis sie auch ein wenig an Zukunftslandschaften erinnern. Hammel ist dazu Kameramann zweier sehenswerter dokumentarischer Studien: Lotte Schreibers Tlateloloco über den gleichnamigen Stadtteil von Mexiko City und Joerg Burgers Way of Passion über eine traditionelle Karfreitagsprozession im sizilianischen Trapani.

Tierschützerprozess, Trachten und Hitler

Themenvielfalt ist garantiert: Ruth Beckermann dokumentiert in American Passages eine US-Erkundung, Gerald Igor Hauzinger in Der Prozess das Wiener Tierschützer-Gerichtsverfahren, Othmar Schmiderer in Stoff der Heimat Trachten und Tradition. Einige herausragende heimische Experimentalfilmer zeigen indes Kurzes: Martin Arnold (gleich vier Filme) oder Friedl vom Gröller, deren Schule für unabhängigen Film auch vorgestellt wird. Und Norbert Pfaffenbichlers Dekonstruktion von Hitler-Darstellungen als Horrorgroteske in Conference (Notes on Film 05) ist auch einer der außerordentlichsten Viennale-Filme: Am 24. 10. läuft er praktischerweise im Doppelpack mit Palms Essay.

Auf einen Blick

Die 49. Viennale wird heute um 19.30 Uhr im Wiener Gartenbau-Kino mit Aki Kaurismäkis „Le Havre“ eröffnet. Am 2. November läuft bei der Abschlussgala „The Ides of March“ von und mit George Clooney, bis dahin werden weit über 100 neue Spielfilme und Dokumentationen zu sehen sein, dazu einige Spezialprogramme und Retrospektiven – die große Werkschau von Chantal Akerman im Filmmuseum Wien hat bereits begonnen.
Stargast des ersten Wochenendes ist der Sänger Harry Belafonte, dessen Arbeit als Schauspieler ein kleiner Viennale-Tribute gilt. Für die zweite Hälfte des Festivals haben sich u. a. bekannte Regisseure wie Nanni Moretti und David Cronenberg angesagt. Österreich ist vor allem mit Dokumentar- und Kurzfilmen vertreten – und mit Stummfilmen bei der Filmarchiv-Reihe „Silent Masters“.

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