Vom Horrorhaus zur Mustereinrichtung

Der "Lindenhof" der Stadt Wien im niederösterreichischen Eggenburg galt als härteste "Endstation" für schwierige Heimkinder. Heute bekommen Jugendliche dort die Chance auf eine Lehre.

Wer den „Lindenhof“ im niederösterreichischen Eggenburg heute betritt, erahnt kaum etwas von der dunklen Vergangenheit der Anlage. Davon, dass hinter den Mauern der eleganten Jahrhundertwendepavillons, die mit ihren Schnörkeln und spitzen Dächern eher ein Bild von Sommerfrische und Kuraufenthalt vermitteln, bis in die 1990er-Jahre hinein eines der härtesten Kinderheime des Landes untergebracht war.

Ein Heim, das für seine bis zu 350 Insassen dem Anspruch einer friedlichen „Heimat“ nie gerecht wurde – das zeigen schon die Nachrichten, die aus der Anlage der Stadt Wien über die Jahre gelegentlich nach außen gedrungen sind: „Jugendlicher von Kameraden um 16.000 Schilling erpresst.“ „Heiminsasse von Mitzöglingen in ,Sarg‘ eingenagelt“. Sogar: „Doppelmord in Eggenburger Erziehungsanstalt“ – ein 16- und ein 17-Jähriger wurden von anderen Heimkindern mit einer Axt erschlagen, ihre Leichen in einer Jauchegrube versenkt.

Der Lindenhof, gegründet 1888 als „niederösterreichische Landesbesserungsanstalt“, später von der Stadt Wien übernommen und als „Erziehungsheim für Knaben“ geführt, war eine der „Endstationen“ im System der Heime der Bundeshauptstadt: Wer hierher kam, hatte verweigert, sich den Regeln in einer anderen Anstalt unterzuordnen, hatte bereits kriminelle Vergangenheit oder einen besonders schwierigen Charakter – zumindest der Einstufung der Behörden nach.

Entsprechend sah auch der Alltag in dem von Mauern und Zäunen umgebenen Park- und Pavillonareal in der Kleinstadt an der Grenze von Wald- und Weinviertel aus: Als in den vergangenen Jahren erste Berichte von Misshandlungen in städtischen Heimen aufkamen, betrafen dutzende Meldungen das Heim in Eggenburg – Ohrfeigen durch Erzieher, Tritte und auch sexuelle Übergriffe sollen demnach ein fester Teil des totalen Systems der 1960er- und -70er-Jahre gewesen sein. Bei der Opferschutzorganisation „Weißer Ring“ lagen – noch vor Beginn der aktuellen Welle – 31 Berichte über Gewalt gegen Zöglinge vor – noch mehr gab es nur in dem Heim auf der Hohen Warte.


Konflikte friedlich lösen. Würde einer der Zöglinge von damals heute nach Eggenburg zurückkehren, er würde das Heim nicht mehr wiedererkennen. Seit die Stadt Wien in den 1990er-Jahren begonnen hat, von dem System großer Heime auf die Betreuung in Kleingruppen umzustellen, haben auch hier Veränderungen Einzug gehalten: Nur noch 68 Burschen zwischen 15 und 18 Jahren sind heute in den Pavillons des „Ausbildungszentrums Eggenburg“ untergebracht – Jugendliche „aus schwierigen Verhältnissen“, die hier die Chance bekommen, einen Lehrabschluss nachzuholen und soziales Verhalten zu lernen.

In Gruppen von sechs bis acht Mitgliedern arbeiten sie in den eigens in den Pavillons eingerichteten Lehrwerkstätten unter Aufsicht von Ausbildnern und Sozialpädagogen. Auf dem Lehrplan steht hier nicht nur Handwerk, sondern auch, pünktlich zu erscheinen und Konflikte mit Kollegen friedlich zu lösen.

„Die Missstände der früheren Jahre waren nicht zuletzt die Folge mangelnder Professionalität“, sagt Wolfgang Herbst. Der 52-jährige Sozialpädagoge hat als ehemaliger Mitarbeiter der „Stadt des Kindes“ an vorderster Front erlebt, wie sich die Pädagogik in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Heute leitet er unter anderem die Anlage in Eggenburg – und wo frühere Heimleiter von Strenge, Disziplin und Verboten gesprochen hätten, spricht Herbst heute von Verständnis, „erwünschtem und unerwünschtem Verhalten“.

„Früher war es so, dass jeder Erzieher in einem Heim werden konnte, ohne irgendeine Überprüfung.“ Heute sei mit der Ausbildung zum Sozialpädagogen oder -arbeiter ein Mechanismus vorgeschaltet, der Professionalität gewährleiste. Was bei den Betreuten gut anzukommen scheint: In einer anonymen Befragung lobten mehr als zwei Drittel der Jugendlichen die Betreuung in Eggenburg.

Freilich gibt es nach wie vor Konflikte, sagt Herbst: Kleinere Reibereien oder auch größere Zwischenfälle wie Erpressung kämen leider regelmäßig vor. Die Betreuer selbst würden aber nicht bestrafen, nur vermitteln – und in schlimmen Fällen die Polizei einschalten: „Wir sind nicht mehr der Feind der Jugendlichen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2011)

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