Zwei Jahre ist es her, dass Studierende spontan das Audimax der Uni Wien stürmten – und den Hörsaal zwei Monate lang besetzt hielten. Was ist geblieben? Eine Spurensuche bei ehemaligen Hörsaalbesetzern.
Es war die Neugier, die Klemens Herzog (23) an jenem 22. Oktober ins Audimax trieb. Ein Freund hatte ihn angerufen und begeistert erzählt: Der größte Hörsaal der Uni Wien sei besetzt. Der Boku-Student setzte sich in die Bim, um sich das einmal anzusehen. Und blieb nach der ersten durchtanzten Nacht einige Tage lang rund um die Uhr, um dann zwei Monate lang mitzudiskutieren, zu organisieren, zu demonstrieren.
Zwei Jahre ist es her, dass mehr als 2000 Studierende das Audimax der Uni Wien nach einer Demonstration spontan in eine Zone des politischen Widerstands verwandelten und ihrem Ärger über die Uni-Politik der Regierung und das Gesellschaftssystem Luft machten. Genauso abrupt, wie sie begonnen hatte, endete die Besetzung am 21. Dezember, als die Polizei am frühen Morgen einen Tross von Obdachlosen und ein Dutzend Aktivisten aus dem Saal abführte. Dazwischen ein 61 Tage dauernder, ungewöhnlicher Protest. Dezentral via Twitter, Facebook und SMS organisiert, irgendwie charmant in seinem basisdemokratischen Anspruch – und zu seinen besten Zeiten von bestechender Schlagkraft: Am Höhepunkt marschierten mehr als 20.000 Demonstranten durch die Straßen Wiens.
Resultate im Kleinen. Für Klemens Herzog brachten die Proteste ein ganz konkretes Resultat: Seine Tutorenstelle an der Uni für Bodenkultur wird heute aus den 34 Millionen Euro der Notfallsreserve finanziert, die der damalige Uni-Minister Johannes Hahn (ÖVP) aufgrund der Proteste anzapfte. Im Großen hat sich allerdings wenig getan.
Politisch herrscht die Blockade, die Unis klagen mehr als je zuvor über Unterfinanzierung, in vielen Studienrichtungen haben sich die Bedingungen nicht verbessert, sondern verschlechtert. Ab dem Jahr 2013 befürchten die Uni-Rektoren weitere Einschnitte. Die von Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (ÖVP) angekündigte Hochschulmilliarde könne (so sie tatsächlich kommt) bestenfalls dazu beitragen, um den Status quo zu halten, ist von den Rektoren zu vernehmen. Die Studierenden scheinen im Vergleich zum Jahr 2009 aber fast von der Bildfläche verschwunden zu sein. Das zeigte sich nicht zuletzt beim jüngsten Protest: Nicht mehr als einige hundert Demonstranten gingen am Tag vor der Budgetrede auf die Straße.
Unibrennt in Pension. Auf Jacken, Pullis und Taschen von Studierenden findet man sie bisweilen noch: die Anstecker mit der brennenden Uni, von denen vor zwei Jahren zehntausende angefertigt wurden. Inge Chen (23) hat sich gleich drei davon an die Brust geheftet. Die Studentin der Politikwissenschaft ist eine der wenigen, die sich heute noch direkt in der Unibrennt-Bewegung engagieren, sie kümmert sich um die Homepage und den Facebook-Auftritt. „Unibrennt ist in Pension“, konstatiert Chen. Die Bewegung sei bewusst niemals institutionalisiert worden, und eine Bewegung könne man eben nicht mit Zwang am Leben erhalten. Wenn, dann müsse etwas Neues entstehen, sagt sie.
Wird das passieren? „Die Audimax-Proteste haben sicherlich dazu beigetragen, dass viele Studierende politisiert wurden“, sagt Erich Ribolits, Bildungswissenschaftler an der Uni Wien. Gleichzeitig habe sich aber auch die Basis jener vergrößert, die angesichts fehlender Resultate resigniert haben. „Wenn Menschen entdecken, dass ihre politische Aktivität sehr wenig bewirkt, sagen sie häufig: Das ist offenbar der falsche Weg“, sagt Ribolits. Da lässt sich nichts machen, die Politik fährt drüber, die Zwänge der Zeit sind einfach zu groß: Bei vielen dominiert der Frust.
Anstoß für Debatte. Die Frustration mancher Studierender könne er durchaus verstehen, sagt Alexander Trinkl (35). Er selbst allerdings scheint überhaupt nicht frustriert zu sein. Vor zwei Jahren war der Jusstudent täglich im besetzten Audimax, feilte zwei Monate lang mit an den Forderungen der Besetzer. Heute engagiert er sich mit seiner NGO Agenda X für das Bildungsvolksbegehren, das diese Woche startet – eine Initiative, die für den Bildungsforscher Ribolits zumindest ein indirektes Resultat der damaligen Proteste ist. Denn eines hat der Aufstand der Studierenden zweifellos gebracht: Das Thema Bildung steht seit jenem heißen Herbst im Fokus der öffentlichen Debatte wie nie zuvor.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2011)