Nachruf: Joe Frazier, der zweitbeste Boxer

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Muhammad Ali und ein linker Haken machten Joe Frazier zur Legende. In der Nacht auf Dienstag starb der ehemalige Schwergewichtsweltmeister im Alter von 67 Jahren an Krebs.

Wortkarg und mit ernster Miene schlendert Joe Frazier in den Trainingsraum seines Lehrmeisters Yank Durham in einem alten Lagerhaus gegenüber dem Nordbahnhof von Philadelphia. Zu heißen Rhythmen boxt sich der aktuelle Weltmeister im Schwergewicht warm. Dann verprügelt er zwei bedauernswerte Sparringpartner. Die rund hundert Zuschauer bekommen für einen Dollar Eintritt etwas geboten. Noch ein bisschen Schattenboxen, Bauchmuskelübungen – dann ist das Tagespensum erledigt.

Vier Tage vor dem „Fight of the Century“ gegen Muhammad Ali im New Yorker Madison Square Garden. Frazier schwitzt noch, lümmelt in seiner Umkleidekabine auf einem schwarzen Ledersofa und teilt den Journalisten strotzend vor Selbstbewusstsein mit: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Clown fällt.“ Es ist die erste Begegnung mit Joe Frazier.

Der „Clown“ fällt am 8. März 1971 in der 15. Runde. Es ist dieser historische Schlag, der berühmteste linke Haken der Boxgeschichte, der Joe Frazier zur Legende gemacht hat. In der Nacht zum Dienstag ist Joe Frazier nach kurzer Leidenszeit in seiner Heimatstadt Philadelphia an Leberkrebs gestorben. Der Olympiasieger von 1964 und Weltmeister von 1970 bis 1973 wurde nur 67 Jahre alt.

„Smokin' Joe“, so der Markenname der bulligen Kampfmaschine, hatte als souveräner Sieger der Nachfolgeturniere das alleinige Erbe des wegen Wehrdienstverweigerung verbannten Ali angetreten. Doch der Schatten des „Größten“ verdunkelte seine Herrschaft in der Königsklasse. Frazier war Weltmeister geworden, ohne den Weltbesten jener Epoche besiegt zu haben. Das Championat war unvollkommen. Keiner spürte das Schattendasein empfindlicher als Joe Frazier selbst. Der Weltmeister ohne Glanz reichte sogar eine Petition bei Präsident Richard Nixon ein, Ali doch bitte wieder in den Ring zu lassen.

Der Oberste Gerichtshof ermöglichte nach dreieinhalb Jahren Alis Comeback und Fraziers historischen Triumph im Duell zweier unbesiegter Champions im bis dahin gigantischsten Spektakel der Boxgeschichte. Ein brutaler linker Haken Fraziers ans Kinn schmetterte Ali in der 15. Runde zu Boden. Der Schlag reichte zwar nicht zum K. O., manifestierte aber den Punktsieg Fraziers, die Krönung und Anerkennung als einzig wahrer Champion.

Er nannte Ali nur Clay

Als solcher kam er im Mai 1971 nach Frankfurt/Main. Adidas hatte ihn eingeladen. Ich habe ihn am Rhein-Main-Flughafen mit abgeholt und bin neben ihm im Fond einer Limousine nach Herzogenaurach gefahren. Joe schwärmte nur von sich als Sänger und seiner Rockband „The Knockouts“, mit der er nun auf Tournee gehen werde. An Clay, wie er Ali nur nannte, verschwendete er kaum ein Wort. Es schien, als wollte der Boxchampion nun die „Beatles“ herausfordern. Ich bin ihm nur noch zu drei weiteren Kämpfe gefolgt, zweimal wegen Ali, einmal seinetwegen nach London zum Kampf gegen Joe Bugner.

Viereinhalb Jahre nach dem „Fight of the Champions“ der zweite Showdown um die Weltmeisterschaft: Frazier hatte seinen Titel schmachvoll – sechs Niederschläge bis zum Abbruch in der 2. Runde – an George Foreman, und die Revanche – nun ohne Titel – gegen Ali nach Punkten verloren. Ali wiederum hatte Foreman in Kinshasa entthront. Der „Thrilla in Manila“ wurde zu einer epischen Schlacht im Angesicht des Todes. Trainer Eddie Futch ließ am schwülheißen Vormittag des 1. Oktober 1975 Joe Frazier zur 15. und letzten Runde nicht mehr antreten. „Nein, Eddie, das kannst du mir nicht antun“, protestierte ein entsetzlich gezeichneter Frazier. „Setz dich mein Sohn. Du kannst nichts mehr sehen. Es ist vorbei“, entschied Futch und sagte später: „Der nächste Schlag hätte tödlich sein können.“ Derweil murmelte ein völlig ausgezehrter Ali: „Es war wie das, was dem Sterben am nächsten kommt.“

Joe Frazier, der im Finale der Olympischen Spiele in Tokio den Regensburger Hans Huber mit einem 3:2-Urteil nach Punkten besiegt hatte, verdankte die Goldmedaille dem Pech des massigen Buster Mathis. Der war sein Bezwinger in der US-Endausscheidung, hatte sich aber verletzt. Frazier bekam Mathis' Ticket. Als Profi gewann der nur 1,85 Meter große Draufgänger, dessen Non-Stopp-Kampfstil an Rocky Marciano erinnerte, 32 von 37 Kämpfen, verlor vier – je zwei gegen Ali und Foreman – bei einem Unentschieden.

Erst 2009 kam die Versöhnung

Frazier hasste Ali, weil der ihn als „Uncle Tom“, als „Hoffnung des weißes Mannes“ verachtete, ihn als „Gorilla“ verhöhnte. Vor zwei Jahren erst, als der Vater von fünf Kindern an Diabetes, hohem Blutdruck, Rückenproblemen nach einem Autounfall und unter finanziellen Schwierigkeiten litt, verkündete er seinen Frieden mit Ali. „Ich habe keine bösen Gefühle mehr gegen ihn“, teilte er „Sports Illustrated“ mit. Das Gym in Philadelphia, in dem er unter anderen seine vier Söhne und seine Tochter Jacqueline trainiert hatte, musste Frazier 2009 verkaufen. Durch Generosität, Naivität und Pleiten mit Immobilien verlor der einstige Millionär über die Jahre sein Vermögen. Die vielversprechende Karriere seines Sohnes Marvis beendete Mike Tyson mit einem K. O. in der ersten Runde. Die weibliche Fortsetzung der Ali-Frazier-Trilogie verlor Jacqueline gegen Laila Ali.

Joe Frazier verkörperte den längst verklärten amerikanischen Traum vom armen schwarzen Jungen aus dem Süden, der sich zum Champion hochboxt. Das jüngste von dreizehn Kindern einer armen Farmer-Familie aus South Carolina packt seine Sachen und verlässt mit 15 Jahren die rassistische Kleinstadt Beaufort in Richtung Norden.

In Philadelphia findet der kräftige Junge in einem Gym der Polizei Gefallen am Boxen und in einem Schlachthof einen Job. Yank Durham, ein Hobbytrainer für Amateure, wird sein Entdecker und zur Vaterfigur. Rinderhälften am Arbeitsplatz dienen den bloßen Fäusten des jungen Schlachters als Sandsack. Joe Frazier als realer „Rocky“. Das Leben dieses Boxchampions war spannend genug, um eines Tages verfilmt zu werden. Leider ohne Happy End.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2011)

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